"Vielleicht muss politische Werbung noch oberflächlicher sein als normale Werbung, um bei der breiten Masse zu funktionieren"

Im zweiten Teil unseres Interviews mit Tobias Spörer spricht der Geschäftsführer der Hamburger Agentur elbkind über Gemeinsamkeiten von politischen Kampagnen und Werbekampagnen, den Einfluss von Social Media auf die Kampagnenarbeit und ethische Grenzen der Kommunikationsarbeit.  

Volker Gaßner: Was war für Sie die beste politische Kampagne der letzten Jahre und warum (Politik, NGO etc.)?

Tobias Spörer: Bei Politik fällt mir - ehrlich gesagt - nicht viel ein. Dabei möchte ich aber in keinem Fall unserer Zunft auf den Schlips treten. Ich glaube für das diesjährig Gesehene sind in großem Maße die Politiker aber auch die Wähler selbst verantwortlich. Ich möchte fast sagen: Jeder bekommt die Wahlwerbung, die er verdient hat. International muss man natürlich die Obama-Kampagne für die erste Amtszeit nennen. Was aus den Versprechungen letztendlich wirklich auf die Straße gebracht wurde, lasse ich mal dahingestellt.

Bei den NGOs fallen mir in den letzten Monaten immer wieder die Greenpeace-Kampagnen ins Auge. Und das sage ich jetzt nicht nur, weil wir hier zum Interview sitzen ;-) Nestlé, Formel 1, Championsleague: Greenpeace hat verstanden, sich die Massenmedien geschickt zunutze zu machen, um Reichweite und Aufmerksamkeit zu generieren. Gratis.

Darüber hinaus wird viel Content erstellt und als Nachrichtenartikel, Blogbeitrag oder Mitmach-Aktion über die unterschiedlichen Social Media Kanäle gespielt. Nennenswert ist auch noch eine erfolgreiche Kampagne aus den UK des Öko-Stromanbieters Ecotricity. Im Clip "Dump the Big Six", der Teil einer viralen Kampagne war, werden die im Comic-Stil verzierten Aufnahmen echter Sprengungen von Kraftwerken gezeigt. Das sah hübsch aus, war emotional, regte zum Nachdenken an und war so Thema im Netz.

Volker Gaßner: Zu einer emotionalen Kampagne gehört eine gute Bewegtbildstrategie. Eine gute Kampagne lebt meist von guten und bewegenden Bildern, oft in Form von viralen Spots. Was macht für Sie ein gutes Viral aus?

Tobias Spörer: Aus meiner Sicht gibt es den Viral als Format nicht. Niemand auf diesem Planeten kann ihnen wirklich vorab sagen, welches Video ein viraler Hit wird. Viel eher kann man sagen was viral definitiv nicht funktionieren wird. Was allerdings möglich ist, ist ein paar ganz grundlegende Faktoren zu berücksichtigen, die das Potenzial für eine virale Verbreitung erhöhen: Der Inhalt sollte unterhaltsam, emotional und qualitativ hochwertig produziert sein. Der Produkt-Holzhammer, wie bei klassischer Werbung oft üblich, sollte dabei besser im Koffer bleiben. Die Marken-/Produktinformation muss dabei viel eher geschickt verpackt mitschwimmen. "Truth well told" ist als Grundsatz immer noch richtig und wichtig.

Volker Gaßner: Wie sehr hat Social Media die Kampagnenarbeit der letzten Jahre geprägt und beeinflusst?

Tobias Spörer: Social Media beeinflusst mittlerweile alle unsere Lebensbereiche. Deshalb natürlich auch die Kampagnenarbeit. Es geht bei Social Media Arbeit in erster Linie nicht mehr um Kampagnen, sondern um Dialog und zwischenmenschliche Kommunikation und Kommunikation zwischen Mensch und Marke. Zum Glück nimmt Social Media und das Netz genau die Entwicklung, die wir erwarten. Es gibt mittlerweile eigentlich keine Marke und keine Kampagne, die nicht wenigstens einfache Social Media Elemente enthält.

Doch die Veränderungen sind eigentlich viel essentieller und grundlegender. Eigentlich ist Social Media der Bestandteil von fast allen On- und Offline-Aktivitäten geworden. Es wird beispielsweise in vielen Produktkategorien fast kein Einkauf mehr getätigt, ohne zuvor den Preis online gecheckt zu haben.

Aktuell geht der Weg Richtung mobiler Nutzung von Apps. Die erfolgreichen setzen dabei ebenfalls sehr stark auf Social Media Elemente,wie beispielsweise Car2Go, myTaxi oder Runtastic.

Social TV und Streaming sind dabei, das gesamte Medium TV auf den Kopf zu stellen. Nahezu alle Sendungen zur diesjährigen Bundestagswahl haben Inhalte aus Social Media integriert. Der direkte Rückkanal der Social Media Beiträge in die Sendung war bisher allerdings noch keine Selbstverständlichkeit. Hier hat sich in den letzten Monaten und vor allem bei den Formaten zur Bundestagswahl einiges getan. Social Media und sein Trägermedium, das Internet, verändern politische Landschaften und werden in den kommenden Jahren unendlich viele weitere Bereiche erobern. Auf dem Weg dahin muss behutsam darauf geachtet werden, nichts zu übertreiben: Stichwort Datenschutz, BigData, penetrante Werbepräsenzen etc.

Volker Gaßner: Was unterscheidet eine politische Kampagne von einer Werbekampagne und was sind ihre Gemeinsamkeiten?

Tobias Spörer: Ich finde, die haben mittlerweile viel zu viele Gemeinsamkeiten. Vielleicht muss politische Werbung in Bezug auf Parteien sogar noch oberflächlicher sein, als klassische Werbung für Produkte es oft ist, um bei der breiten Masse der Wähler zu funktionieren. Die politische Werbung der zurückliegende Bundestagswahl war geprägt von Seichtem. Die Menschen haben Angst vor eventuell unangenehmen und unausweichlichen Wahrheiten. Leider ist das so. Und das färbt natürlich nicht nur auf die Kampagne, sondern auch auf den aktuellen Politikstil ab. Eine Entwicklung, die ich ziemlich synchron zur jahrzehntelangen Entwicklung der klassischen Werbung in Deutschland sehe. Das ist schade, denn bei Politik geht es um Meinungen, gesellschaftliche Weiterentwicklung und Werte. Diskussion, Ecken und Kanten gibt es in der politischen Szene leider viel zu wenige. Aber auch hier wird sich der Zeitgeist wieder ändern – hoffentlich.

Was die Politik sich aktuell noch oder wieder leisten kann, wird in der Markenkommunikation zunehmend schwerer. Realität, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit rücken immer mehr in den Fokus der Werbekommunikation. Und dies nicht zuletzt dank der Möglichkeiten und Kommunikation durch Social Media.

Volker Gaßner: Für welche Partei oder für welchen Politiker würde Sie gerne einmal eine Kampagne planen und durchführen?

Tobias Spörer: Am liebsten für die, die sich traut Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen.

Volker Gaßner: Haben Sie eine eigene Kampagnenethik entwickelt? Also, was würden Sie in einer Kampagne auf keinen Fall machen und wo stoßen Sie an Grenzen?

Tobias Spörer: Wir sind eine Agentur, die ihren Ursprung im Social Media Raum hat. Von Beginn an erzählen wir in unseren Kampagnen keine Unwahrheiten oder versprechen das Blaue vom Himmel herab. Das lässt unsere Agenturethik nicht zu. Eine weitere Grenze gibt es für mich da, wo die Freiheit und die Unantastbarkeit jedes Einzelnen aufhört. Dort, wo Menschen plötzlich unverschuldet zu Instrumenten der Werbeindustrie werden.

Natürlich sind auch wir eine Werbeagentur und ein Arbeitgeber. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kunden erfolgreiche Kommunikation betreiben. Auch die Werbeindustrie leistet somit einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu, unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft und unsere Sozialsystem am Laufen zu halten. Doch sicher gibt es auch Marken, für die ich weniger gerne Kommunikation betreibe als für andere. Auf unser aktuelles Kunden-Portfolio kann ich auch in dem Bezug allerdings voller Stolz blicken.