100 Tage Joe Biden
Das Interview ist ursprünglich auf Watson.de erschienen:
Herr van de Laar, Sie waren an einigen US-Präsidentschaftswahlen beteiligt und kennen den Maschinenraum der US-Politik. Was hat es mit diesen magischen hundert Tagen auf sich, nach denen immer geschaut wird, wie ein US-Präsident bisher performt hat?
Julius van de Laar: Der 100-Tage-Marker ist ein von den Medien künstlich inszeniertes Datum, das politisch keinerlei Relevanz hat. Zu diesem frühen Zeitpunkt in der Amtszeit kann man noch kaum ablesen, wie gut oder schlecht ein US-Präsident sein wird. Was wir allerdings nach 100 Tagen ablesen können ist, wen der Präsident ins Kabinett berufen hat, welche Entscheidungen er bereits per Dekret durchgesetzt hat und welche legislativen Schwerpunkte die Administration setzen will.
Und was lässt sich bei Joe Biden ablesen?
Zwei Dinge: “Shots in Arms” und “Checks in Pockets”. Präsident Biden hat zu Beginn seiner Amtszeit angekündigt, dass er 100 Millionen Impfdosen in den ersten 100 Tagen verimpfen will. Stand heute sind es bereits über 200 Millionen. Darüber hinaus hat er ein Konjunkturpaket aufgesetzt, das dafür sorgt, dass die Mehrheit der US-Amerikaner 1400 Dollar mehr in der Tasche haben.
Das klingt ziemlich positiv.
Joe Biden hat geliefert. Mehr noch. Er hat mehr umgesetzt, als er versprochen hat und das tut der US-Politik und dem ganzen Land gut. Ich habe in den letzten Wochen mehrfach den Vergleich mit dem legendären Präsidenten Franklin D. Roosevelt gehört, der damals den „New Deal“ beschlossen und umgesetzt hat. Dafür ist es aus meiner Sicht noch etwas früh, doch Biden hat bereits die nächsten großen Projekte angekündigt, wie z.B. ein gigantisches Infrastruktur- und Bildungsprogramm. Wenn das genauso gut funktioniert, würde ich sagen, hat er eine wirklich gute Bilanz vorzuweisen.
Gibt es auch negative Aspekte seiner Politik?
Die Situation der Migranten an der mexikanischen Grenze ist unverändert katastrophal. Immer noch werden “illegale Migranten” menschenunwürdig festgehalten. Wir sehen dieselben Bilder, die wir auch bei Trump gesehen haben: Kinder in Käfigen.
Können Sie sich das erklären?
Sicherlich hat das Biden-Team ein komplett desolates und ausgehöhltes Asyl-System vorgefunden. Donald Trump hat in seinen vier Jahren im Weißen Haus finanzielle Mittel und Stellen gekürzt, wo er nur konnte. Nichtsdestotrotz hätten Bidens Leute wissen müssen, dass die Einwanderungszahlen nach oben schnellen würden. Darauf waren sie nicht vorbereitet und das ist definitiv ein schwarzer Fleck auf der ansonsten weißen Weste von Joe Biden.
Trotz der ansonsten guten Bilanz konnte Biden in den Umfragen bisher kaum davon profitieren. Seinen Zustimmungswerten nach zu urteilen, ist er einer der unbeliebtesten US-Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg. Schlechter wurden nur Gerald Ford und Donald Trump nach 98 Tagen bewertet.
Das hat aber wenig mit Bidens Politik zu tun, sondern viel mehr mit der Spaltung im Land. In den vergangenen 50 Jahren hat sich die US-Politik stark gewandelt und immer weiter polarisiert. So große Beliebtheit wie bei dem Nachkriegspräsidenten Harry S. Truman oder John F. Kennedy ist heute kaum mehr möglich, weil die verschiedenen Lager derart verfeindet sind.
Das ist also nicht Bidens Verantwortung?
Es gab Umfragen unter Trump-Unterstützern, die belegen, dass sie jeden Gegenkandidaten gegen Trump kategorisch ablehnen. Selbst wenn ein demokratischer Präsident Wunder vollbringen würde, Trumps Leute würden ihn ablehnen.
Das heißt, Joe Biden kann diese Menschen gar nicht mehr überzeugen?
Nein. Diese Wähler sind für ihn nicht mehr zu gewinnen. Das Beste, was er tun kann, ist eine gute Sachpolitik abzuliefern und die Lebenswirklichkeit aller Amerikaner zu verbessern. Auch gegen den Widerstand der Republikaner.
Das wird schwierig: Biden hat noch viel vor, er will die USA umweltfreundlicher machen, sowie das Waffenrecht und die Polizei reformieren. Sehen Sie die Möglichkeit, dass er dafür parteiübergreifend Unterstützung findet?
So, wie die Wahlbezirke zurechtgeschnitten sind, kann sich kein Republikaner erlauben, mit Biden zu stimmen – zumindest nicht im Repräsentantenhaus. In zwei Jahren sind Halbzeitwahlen in den USA. Da wird jede und jeder Abgeordnete im Repräsentantenhaus neu gewählt. Sobald ein Republikaner erklärt, er stimmt mit Biden, wird es Gegenkandidaten aus dem Trump-Lager geben und ihn von Rechtsaußen angreifen.
Und der wird mehr Unterstützung bei den Wählern finden?
Trumps Unterstützer haben viel Einfluss in den Wahlbezirken. Alle Republikaner rücken deswegen erstmals nach rechts. Weil sie Angst haben, einen rechten Gegenkandidaten zu bekommen, der ihnen den Sitz streitig macht.
Welchen Einfluss hat Donald Trump nach wie vor auf seine Partei?
Innerhalb des Parteiestablishments ist Trump immer noch der unangefochtene Anführer der Partei. Das belegen auch Umfragen. Wenn er sich heute im Vorwahlkampf der Republikaner bewerben würde, wäre ihm die Nominierung seiner Partei fast sicher. Sein Einfluss ist so groß, dass ein Abgeordneter sein Amt verlieren kann, sobald Trump ihn öffentlich anzählt.
Sie sehen also keine Chance, dass sich die Parteien wieder annähern?
Solange der ehemalige US-Präsident und Trumpismus das Machtzentrum der Republikanischen Partei ist, sehe ich wenig Chancen.