Ready for Hillary 2016?

Seit fast 2 Jahren waberten die Gerüchte durch Washington - jetzt scheint sie es zu tun: Hillary Clinton wird an diesem Wochenende Ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2016 bekannt geben. Und dabei nichts dem Zufall überlassen. Erst kürzlich hat Sie dafür Google-Managerin Stephanie Hannon abgeworben, die als CTO die Onlinekampagne von Clinton koordinieren soll.

Es dauert noch rund 600 Tage, bis der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2016 in die heiße Phase eintritt. Trotzdem wissen die Kampagnen-Verantwortlichen der Grand Old Party, der republikanischen Partei, schon jetzt, wer ihre Wähler sein werden, wie die Stimmpotentiale verteilt sind und wer sie beim „Canvassing“ im Wahlkampf vermutlich unterstützen wird. i360 heißt das Instrument, auf das sie zurückgreifen, die neue Wunderwaffe, die Datenströme aus unterschiedlichsten Quellen verknüpft. Das Ziel: der gläserne Wähler. In der i360 Datenbank finden wir zum Beispiel John, 67 Jahre alt, aus einem Vorort der texanischen Millionenstadt Houston. John fährt einen Ford Pickup, ist Mitglied der National Rifle Association (NRA) und trinkt gerne Bourbon. Bei Amazon bestellte er zuletzt eine Bibel und die Playliste beim Onlineradioanbieter Pandora ist voll mit Christian Rock. i360 zufolge wird er mit großer Wahrscheinlichkeit republikanisch wählen. Dazu kommen die Informationen aus dem öffentlich zugänglichen Wählerregister, der Voterfile, die zeigen, dass John in den letzten Jahren an jeder Wahl teilgenommen hat. Auf ihn muss sich die Partei also nicht konzentrieren, Johns Stimme ist sicher.

In der riesigen Datenbank finden wir auch Lynn, Mutter von zwei kleinen Kindern. Sie ist 34 Jahre alt, lebt in Cambridge und fährt einen Volvo-Kombi. Der i360-Algorithmus hält sie für eine Wechselwählerin, es lohnt sich demzufolge, um Lynns Stimme zu werben.

Nicht in allen Fällen kann die Partei auf so viele Daten zurückgreifen. Doch dank der Masse der Informationen lassen sich fehlende Datenpunkte modellieren, Wähler mit ähnlichen Eigenschaften und Vorlieben erkennen und Vorhersagen über das Wahlverhalten treffen.

ELECTIONS 2016

Doch eines ist klar: 

Deutsche Wahlkämpfer können von ihren amerikanischen Kollegen einiges, aber nicht alles übernehmen. Die Landtagswahlkämpfe in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg 2016 sollten daher unbedingt als „Labor“ für die Bundestagswahl 2017 genutzt werden. Wie in den USA, so wird „Big Data“ in deutschen Wahlkämpfen eine immer prominentere Rolle spielen. Bei aller Euphorie rund um Data-Driven-Campaigning: Entscheidend für den Wahlerfolg sind die Kandidaten und Auswahl der richtigen Themen, denn “there is a big difference between big data and a big idea“ – frei übersetzt: Ohne gute Ideen hilft auch Big Data nicht.

Amerikanische Wahlkämpfe bringen stets gigantische Innovationsschübe mit sich. Neue Technologien werden entwickelt, getestet und ständig verbessert. Die Vorfeldorganisation und Super PAC „Ready for Hillary“ ist seit Monaten dabei, potentielle Clinton-Wähler zu identifizieren, Hillary-Unterstützer zu rekrutieren, Spenden zu sammeln und die Vorwahlen in Iowa und New Hampshire vorzubereiten. Die Republikaner sind nach dem Misserfolg der Romney-Kampagne fest entschlossen, das Daten-Defizit auszugleichen. Ihre digitale Infrastruktur namens i360 soll zum Rückgrat der Republikanischen Partei werden und Daten aus allen Bereichen miteinander verbinden.

Mit Instrumenten wie diesem lässt sich sehr präzise berechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Wähler für die Republikaner oder aber für die Demokraten stimmt. Daraus leiten die Strategen ab, welche Wähler angesprochen werden sollten.

Das Scoring-Modell ermittelt für jeden der 235 Millionen Bürgerinnen und Bürger einen Wert zwischen 0 (wählt auf jeden Fall republikanisch) und 100 (wählt auf jeden Fall demokratisch). Die Grundlage dieser Vorhersage sind mehr als 20.000 Datenpunkte je Wähler. So können Mediabudgets und knappe Ressourcen z.B im Haustürwahlkampf effektiver eingesetzt werden und gezielt auf diejenigen Wählrinnen und Wähler verwendet werden, die noch unentschlossen sind, oder Kandidat und Partei zwar unterstützten, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit am Wahltag zuhause bleiben.

PREDICTIVE MODELING

Daten sind jedoch nicht gleich Daten. Sie werden in drei verschiedene Kategorien unterteilt. First-Party-Daten sind die Daten, auf die ein Kandidat oder Partei direkten Zugriff hat. Hierzu zählen beispielsweise Mitgliedernamen, Adressen, Newsletterabonnenten, Freiwillige die in der Vergangenheit an Veranstaltungen teilgenommen haben oder Spenderverzeichnisse. Second-Party-Daten sind Informationen, die parteinahe Organisationen zur Verfügung stellen, aber auch sekundäre Informationen wie zum Beispiel Facebook-Daten. Mit Third-Party-Daten werden allgemein zugängliche Informationen bezeichnet. Für Parteien sind in diesem Kontext Sozialstrukturdaten, demographische Angaben, Ergebnisse vergangener Wahlen auf Stimmbezirksebene aber auch Arbeitslosenzahlen oder Angaben zum Ausbildungs- und Einkommensniveau interessant. Der Vorteil dieser Daten ist, dass sie in großem Umfang erhältlich sind. Darin liegt jedoch die Gefahr: Zu wissen, in welchen Stimmbezirken ein bestimmtes Wählersegment lebt, bedeutet noch lange nicht, dass es gelingen wird, diese Gruppe von der eigenen Botschaft zu überzeugen.

Erfolge in Wahljahren lassen sich meist auf effektives, antizyklisches Projektmanagement in Nicht-Wahljahren zurückführen. Es braucht viel Zeit, bis die datenbasierte Kampagnenwerkzeuge einsetzbar sind und alle wichtigen Schnittstellen technisch funktionieren und in der Organisation akzeptiert und verankert sind. Auch in den Personalabteilungen der Parteien ändern sich die Anforderungsprofile. Heutzutage bedarf es hybrid ausgebildeter Profis, die die Abläufe des politisch-medialen Betriebs genauso gut kennen wie die technischen Feinheiten hinter datenbasierten Kampagnen.

ÜBERTRAGBARKEIT

Impulse von außen können in diesem Prozess echte Mehrwerte bringen. Jim Messina, der Architekt der letzten Obama-Kampagne, ist von der SPD bereits jetzt für den Bundestagswahlkampf 2017 verpflichtet worden. Ed Miliband, Oppositionsführer im Vereinigten Königreich, lässt sich für die Wahl im Mai von Obama-Stratege David Axelrod beraten. Obwohl sich das Wahlsystem in den USA und in Großbritannien stark vom deutschen unterscheidet, sind einige Strategien und Taktiken übertragbar. Das in den USA seit Jahrzehnten bekannte Element des Haustürwahlkampfes wird auf Bundesebene, aber auch bei den anstehenden Landtagswahlkämpfen verstärkt zum Einsatz kommen.

Bei aller Euphorie über die Amerikanisierung des Wahlkampfes und die Übernahme von Wahlkampftaktiken aus den USA sollte jedoch nicht vergessen werden, dass zu einem Wahlerfolg mehr gehört als nur ein ins Deutsche übersetztes „Yes, we can“. Die Strategie muss vorab definiert sein bevor an die Wahl der Taktiken gedacht wird. Wie sind die Stimmbezirke im Wahlkreis zusammengesetzt? Wie viele Stimmen brauche ich, um die Wahl zu gewinnen? Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, geht es um die Wahl der Mittel.

Aus Big Data wird in Deutschland Smart Data

Angesichts der schier unendlichen Möglichkeiten von Big Data muss die Flut der Daten eingegrenzt werden. Datenmaschinen wie in den USA sind in Deutschland nur bedingt abbildbar. Dazu kommt, dass Persönlichkeitsmerkmale wie die von John, dem waffenliebenden GOP-Wähler aus Texas, aus Datenschutzgründen in Deutschland zumindest auf absehbare Zeit nie so kombiniert werden können. Aus Big Data wird in Deutschland viel mehr Smart Data.

Die Nutzung von Daten kann enorme Mehrwerte in Deutschland liefern, gerade bei der Botschaftsentwicklung und Ansprache der Zielgruppe wo häufig alleine das Bauchgefühl der Kampagnenverantwortlichen entscheidet. Die Obama-Kampagne hat gezeigt, wie sich der Kommunikationserfolg mit A-/B-Split-Tests verbessern lässt. Jede Email mit der Bitte um Spenden wurde in Kontrollgruppen getestet – für jede erdenkliche Betreffzeile. Ähnliches gilt für Facebook und Google Anzeigen, Inhalte auf Kampagnenwebseiten bis hin zu YouTube Spots.

Die Bundesparteien sollten die anstehenden Landtagswahlen deshalb als Test für die Bundestagswahl 2017 sehen. In Rheinlandpfalz und Baden-Württemberg können im kleinen Rahmen unterschiedliche Wahlkampfelemente gegen einander auf Effektivität überprüft werden. Die Erfahrungen aus dem Haustürwahlkampf 2013 können überprüft- und Ansprache, Frequenz und Follow-Up verbessert werden. Ähnliches gilt für Mobilisierungskonzepte, effektives Wähler- und Unterstützermanagement sowie den Aufbau einer digitale Infrastruktur, mit der sich Daten sinnvoll erheben und auswerten lassen.

Die Bundestagswahlen 2009 und 2013 haben gezeigt, dass es schlussendlich die Kandidaten und die Themen sind, die den Wahlkampf bestimmen. Neben dem Ausbau der digitalen Infrastruktur und stärkerem Investment in Smart Data ist es essentiell, dass genau so viel Mühe in die Kür der richtigen Kandidatinnen und Kandidaten und die Wahl der passenden Themen investiert wird. Dann werden die 2017 Wahlkampfstrategien zu internationalen Erfolgsschlagern.

 

Der Artikel von Julius van de Laar ist unter dem Titel "Big Data, Big Deal" in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Politik & Kommunikation" erschienen, die Sie hier bestellen können.