"Essen ist ein politisches Thema" - Foodwatch Pressesprecher Martin Rücker im Interview

Im Interview mit der Campaigning Academy erklärt Martin Rücker, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Foodwatach, warum große Kampagnenerfolge oft nicht von langer Hand geplant sind, sondern spontan enstehen, und ruft zu mehr Engagement gegen das CETA Abkommen auf, das im Schatten von TTIP kurz vor dem Abschluss steht. Außerdem stellt er fest: Foodwatch hat Essen zu einem politischen Thema gemacht.  

Volker Gaßner: Foodwatch ist in Deutschland die aktivste Kampagnenorganisation, wenn es um den Bereich Konsum und Verbraucher geht. Nicht jedes Thema ist aber kampagnenfähig, auch wenn es noch so wichtig erscheint. Wie findet ihr die passenden Themen für eure Kampagnen?

Martin Rücker: Indem wir uns immer wieder erlauben, uns über genau diese Logik hinwegzusetzen. Neben großen, öffentlich wahrgenommenen Kampagnen ist es für uns ebenso wichtig, ausführliche Analysen des Lebensmittelrechts vorzulegen, einen Report über den Futtermittelsektor zu publizieren oder zwei Jahre nach dem Dioxinskandal zu schauen, was sich in der Gesetzgebung tatsächlich getan hat. Das sind dann zwar keine Blockbuster. Aber diese Themen bringen und sehr viel Fachwissen und tragen damit ganz entscheidend zum Erfolg und zur Glaubwürdigkeit von foodwatch als Kampagnenorganisation bei. Volker Gaßner: Was war in den letzten Jahren eure erfolgreichste Kampagne?

Martin Rücker: Ein Erfolg ist es vor allem, dass viele heute verstehen: Essen ist ein politisches Thema, es hängt nicht alles vom Kaufverhalten Einzelner ab. Festmachen lässt sich dies vielleicht an unserer Kampagne gegen legalen Etikettenschwindel unter www.abgespeist.de, bei der wir unseren Negativpreis Goldener Windbeutel verleihen. Dass das, was viele Lebensmittelhersteller tun, zwar legal ist, aber deshalb noch lange nicht legitim sein muss – das ist gar nicht leicht zu vermitteln. Ich glaube aber, dass sich diese Erkenntnis inzwischen durchgesetzt hat. Volker Gaßner: Welche "Zutaten" braucht eine Kampagne, damit sie erfolgreich werden kann?

Martin Rücker: Sie muss den Nerv der Menschen treffen. Sie muss überraschen, an den richtigen Stellen zuspitzen – und vor allem muss sie in der Lage sein, auf neue Entwicklungen schnell zu reagieren. Denn viele der größten Kampagnenerfolge sind nicht von langer Hand geplant, sondern entstehen ganz spontan durch die richtige Idee zur richtigen Zeit. Volker Gaßner: Viele Medien berichten über den zunehmenden Trend des "Klicktivmus", denn jede Organisation beitet im Jahr viele Petitionen und Unterschriftenlisten an. Siehst du die Gefahr der Abnutzung und wie begegnet man ihm?

Martin Rücker: Die Gefahr besteht – auch weil manche das Instrument als goldenen Weg für alles und jeden verklären. Eine Online-Petition sollte daher nie die Kampagne an sich sein, sondern nur ein kleiner Mosaikstein innerhalb einer Kampagne. Außerdem glaube ich, dass sich Online-Petitionen verändern müssen, zum Beispiel persönlicher und lokaler werden müssen als viele das heute sind. Volker Gaßner: Bei welcher Kampagnen sollten sich unsere Leser momentan bei euch beteiligen?

Martin Rücker: Das ist jetzt zugegebenermaßen das Gegenteil einer lokalen Kampagne, aber die drohenden Freihandelsabkommen sind derzeit eines der wichtigsten Themen. Sie sind ein Angriff auf Demokratie und Bürgerrechte. Während das TTIP-Abkommen zwischen EU und USA sehr im Fokus steht und europaweit schon mehr als eine Million Unterschriften dagegen gesammelt wurden, steht das weniger beachtete europäisch-kanadische Abkommen CETA kurz vor dem Abschluss. CETA wäre eine Blaupause für TTIP und würde viele hochproblematische Regelungen wie private Schiedsgerichte für Klagen von Unternehmen gegen Staaten festschreiben. Die Bundesregierung ist für CETA – vor allem in der SPD regt sich jedoch großer Widerstand. Wir haben deshalb eine E-Mail-Aktion an alle Mitglieder des SPD-Parteivorstandes gestartet, dass sie ihre richtige Kritik an CETA nicht aus falscher Loyalität zu dem Parteivorsitzenden und Vizekanzler Sigmar Gabriel fallen lassen.