Führung in NGOs: Wenn die Kolleginnen mit der Beruflichen Rolle verschmolzen sind
Dass NGOs und Non-Profits besondere Arbeitsorte sind, liegt auf der Hand
Menschen arbeiten hier nicht in erster Linie für ein großes Gehalt, sondern wegen der Sache selbst. Sie stehen hinter dem Sinn „ihrer“ Organisation und beteiligen sich intensiver, wenn es darum geht, Projekte anzuschieben oder die Richtung zu bestimmen.
Nerviges Mitarbeiterinnen-Involvement
Man könnte auch sagen: NGOs sind Orte, in denen die Kolleginnen mehr reden als woanders. Für Führungskräfte mag die enge Verzahnung der Kolleginnen mit ihrer Berufsrolle auf den ersten Blick herausfordernd erscheinen und diese vor schwierige Aufgaben stellen. Denn am Ende des Tages müssen ja Entscheidungen herbeigeführt werden, und das funktioniert eben nicht so leicht, wenn viele mitreden möchten. Eine typische Workshop-Situation aus meiner Arbeit mit NGO-Teams ist die, dass Teilnehmerinnen intensiv diskutieren, während sich die Führungskraft mehr oder weniger gekonnt zurückhält, weil ja jeder zu Wort kommen soll. Im Laufe der Diskussion ist aber die zunehmende Nervosität des Leaders zu bemerken und nach einer Zeit des Stillhaltens wird mit teilweise deutlichen Worten das Gespräch in eine andere Richtung gelenkt. Im Ergebnis wurde zwar eine Entscheidung herbeigeführt, aber maximal viele Anwesende sind frustriert.
Der richtige Umgang
Aus einer klassischen Führungsperspektive mag das hohe Mitarbeiterinnen-Involvement nervig erscheinen. Jedoch: Viele Führungskräfte in „normalen“ Unternehmen wären sehr dankbar für mehr MA-Beteiligung. Sie vermissen das Involvement und beklagen die Einsamkeit und Stille in erwünschten Sachdiskussionen, wenn Entscheidungen oder Initiativen vorangebracht werden sollen. Dass nur beteiligte Mitarbeiterinnen gute Ergebnisse erzielen, liegt ohnehin auf der Hand.
Die Lösung muss also lauten: Die Beteiligung nutzen und trotzdem zu Entscheidungen kommen. Was nach dem heiligen Gral guter Führung klingt, hat sowohl in For- als auch in Non-Profits erste Versuchsfelder entstehen lassen, auf denen erfolgreich im Spannungsfeld von Reden und Entscheiden gearbeitet wird.
Es gibt tatsächlich Tools und Prozesse, die dabei helfen können. Allerdings, ohne die richtige „Haltung“, verkommen diese zu seelenlosen Versuchen. Über die diese Prozesse beseelende Haltung müsste man 20 weitere Artikel schreiben. Stichworte, die die Haltung grob umschreiben, sind: „Führung im offenen Raum“, „Deep Listening“, „Von der Angst ins Vertrauen“, „Ego-Reduktion“, „Gewaltfreie Kommunikation“ usw.
Hands-on-Lösungen
Neben der lebenslangen Arbeit an der eigenen Haltung seien hier einige wirkungsvolle Ideen vorgestellt, die Führen in NGOs leichter machen können.
Einbeziehen von Mitarbeiterinnen mit klar kommunizierten Grenzen
Wer andere in Entscheidungen mit einbezieht, sollte vor einer Diskussion klarstellen, wie lange diskutiert werden kann und welche Entscheidungskompetenzen das Team hat oder eben nicht. Dazu kann auch gehören, dass wenn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt kein Entschluss gefasst wurde, die Führungskraft entscheidet. Auch das sollte vorher klargestellt werden, um Frustration im Nachhinein zu vermeiden.
Wenn möglich: Konsent statt Konsens
Um endlose Diskussionen zu vermeiden, haben einige Unternehmen und NGOs das Konsent-Prinzip eingeführt. Das heißt im Wesentlichen, dass nicht mehr alle zustimmen müssen (Konsens), sondern dass eine Entscheidung dann getroffen werden kann, wenn niemand glaubt, dass der vorgeschlagene Weg der Organisation schadet oder sie zurückwerfen kann (eine entsprechende Frage in die Runde kann lauten: „Sieht jemand einen Grund, warum Schaden entstehen würde oder wir zurückgeworfen würden, wenn dieser Vorschlag angenommen würde?“).
Freiräume und Feedback
Grundsätzlich raten wir nicht nur NGOs, Mitarbeiterinnen maximal viel Entscheidungskompetenz zu überlassen, diese klar zu definieren und eine permanente Weiterentwicklung der Rolle und Kompetenzen zu unterstützen. Regelmäßiges tiefgreifendes Feedback auf Peer-Ebene (also durch die Kolleginnen, die eng mit einer Person zusammenarbeiten) ist eine gute Möglichkeit der Rückmeldung darüber, wie der Freiraum genutzt wird, ob man aus Sicht der Feedbackgeber im Sinne der Organisation handelt und wo Entwicklungspotential – persönlich wie beruflich – liegt. Daraus kann eine Mitarbeiterin für sich Entwicklungsschritte ableiten. Übrigens: Die Logik, dass Führungskräfte derlei Entwicklungsschritte für ihre Mitarbeiterinnen definieren, ist eine Eltern-Kind-Logik, von der wir nicht nur NGOs abraten. Zumindest, wenn man „erwachsene“ Mitarbeiterinnen haben möchte.
Größtmögliche Transparenz
Damit Kolleginnen sensibel mit ihrem Verantwortungsraum umgehen, ist es hilfreich, wenn sowohl Führungskräfte, als auch die Organisationsprozesse, sehr transparent sind. Bestenfalls werden alle vorhandenen Daten, zum Beispiel über Einnahmen und Ausgaben sowie zu aktuellen strategischen Überlegungen, ständig veröffentlicht. Nur so kann jeder im Sinne der NGO arbeiten.
Ein klassisches Beispiel dazu: Häufig gibt es die Frage in NGOs, ob man in einem Projekt den Fundraising- oder einen längerfristigen Kommunikations-Aspekt, der kurzfristig vielleicht weniger Spenden einbringt, in den Vordergrund stellt. Diese Frage führt hier und da zu Grabenkämpfen und natürlich zu endlosen Diskussionen, weil – scheinbar – jeder mitreden darf. Wenn jeder Einblick in die aktuellen Zahlen hat, kann das helfen. Leitsätze wie „Fundraising first“, die es in einigen NGOs gibt, müssen bei guter Kassenlage hinterfragt werden dürfen.
Alle Meetings sind transparent
Eine Möglichkeit, Transparenz und Involvement zu unterstützen ist auch, alle Meetings, die in der Organisation stattfinden, intern zu publizieren: Wer sitzt warum zu welchem Thema mit welchem Ziel wo zusammen? Wer möchte, kann sich dann in jedes Meeting dazu setzen und mitmachen.
Meeting-Regeln
Zum Führen in NGOs gehört auch die Frage, welche Meeting-Regeln oder -Rituale ein Team hat. Den Zeitraum eines Meetings festzulegen sowie Agenda und Protokoll zu verlangen sind Klassiker und sollten per se vorhanden sein. Hier und da helfen auch interne Moderatoren, ein Meeting zu strukturieren. Wesentlich seltener gibt es allerdings Check-In- und Check-Out-Runden. Beim Check-In kann jede kurz sagen, wie es ihr geht, und zwar ohne Diskussion und Action Points. Stimmungen bewusst zu machen und sie auszusprechen hilft, sich als Team zu verbinden und es hilft auch dabei, dass negative Stimmungen nicht unbewusst in Sachdiskussionen ausagiert werden. Im Check-Out kann jeder kurz Feedback darüber geben, wie effizient das Meeting gewesen ist: „Was war heute gut?“, „Wo haben wir zu lange geredet?“, „Wo haben Angst oder Ego das Geschehen bestimmt?“, sind nützliche Fragen.
Sollen die Mitarbeiterinnen das wirklich bestimmen?
Immer wieder werden wir beim Thema „Führen in NGOs“ mit der Fragestellung konfrontiert, ob man den Mitarbeiterinnen wirklich so viel Redezeit und Entscheidungskompetenzen einräumen soll? Klar kann man sich als Führungskraft zügig durchsetzen, und das eigene Team wird schon irgendwie machen, was man sagt. Wir halten es mit Marshall Rosenberg, dem Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, wenn er sagt:
„Tue nichts aus Angst, Schuld, Scham, Pflicht oder um mehr geliebt zu werden und erwarte auch nicht von anderen, dass sie etwas aus Angst, Schuld Scham oder Pflicht für dich tun. Unser Leben ist viel zu kurz und zu wertvoll, für den Preis, den ihr dafür bezahlen werdet.“
Über den Autor
Heiner Diepenhorst ist zertifizierter Coach, Facilitator und Trainer. Er begleitet Einzelpersonen und Teams dabei, wenn sie ihr persönliches Potential, einen übergeordneten Sinn und die Anforderungen der Arbeitswelt miteinander verbinden möchten. Und wenn sie ihre Arbeitsergebnisse mit Herz und Verstand weiterentwickeln wollen.
Zusammen mit Lea Vogel führt er das offene Führungskräfteseminar „Der 3. Weg des Führens“ durch.
Mit seinem Kollegen Martin Michaelis veranstaltet er regelmäßig Workshops zum Thema „New Work“ und „Reinventing Organizations“.
NGOs werden besondere Konditionen gewährt.
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