"Online-Appelle alleine bringen nichts" - Campact Vorstand Günter Metzges im Interview

Im Gespräch mit Volker Gaßner erklärt Dr. Günter Metzges, Geschäftsführender Vorstand von Campact, welche Zutaten eine erfolgreiche Kampagne braucht, wie Campact kampagnenfähige Themen identifiziert und wie man dem Klicktivismus und den Abnutzungserscheinungen des Online-Campaignings erfolgreich begegnen kann.

Volker Gaßner: Campact ist in Deutschland die Kampagnenorganisation mit dem größten Wachstum ihres Unterstützer-Netzwerks. Nicht jedes Thema ist aber kampagnenfähig, auch wenn es noch so wichtig erscheint. Wie findet ihr die passenden Themen für eure Kampagnen und wie mobilisiert ihr eure Unterstützer?

Dr. Günter Metzges: Das Campact-Team arbeitet ähnlich wie eine Zeitungsredaktion. Wir schauen uns an, welche Themen gerade oben auf der politischen Tagesordnung stehen, wo sich z.B. Wirtschaftsinteressen gegenüber Allgemeinwohlinteressen durchzusetzen drohen. Wenn wir Chancen sehen, dass das Engagement von Bürger/innen daran etwas ändern kann, fragen wir unsere Aktiven, ob Sie eine Kampagne dazu unterstützen würden. Eines der wichtigsten Kriterien ist politische Relevanz. Neben den aktuellen Politikprozessen setzen wir manchmal selbst inhaltliche Schwerpunkte bei Themen, die nicht bzw. noch nicht oben auf der politischen Agenda stehen und zunächst nicht kampagnenfähig scheinen. In der Vergangenheit waren das Themen wie Flüchtlingspolitik, Vermögenssteuer oder auch der Kohleausstieg. Wichtig ist, dass wir unsere Kampagnen eng mit Kooperationspartner/innen abstimmen, die als Fachorganisationen langfristig an diesen Themen arbeiten.

Volker Gaßner: Was war in den letzten Jahren eure erfolgreichste Kampagne?

Dr. Günter Metzges: Die Auswahl fällt schwer. Wir haben - immer im Bündnis mit anderen Organisationen - mit unseren Kampagnen dazu beigetragen, dass mit dem Verbot des Genmais Mon810 Gentechnikpflanzen von deutschen Äckern verbannt wurden, dass in Deutschland nach Fukushima Atomkraftwerke abgeschaltet wurden und die Energiewende aufs Neue beschlossen wurde. Wir haben ein bilaterales Steuerabkommen mit der Schweiz zu Fall gebracht, das Steuerflucht im nachhinein akzeptiert hätte. Das Scheitern der Verhandlungen hat in der Folge politische Initiativen zur Bekämpfung von Steuerflucht gestärkt. Last but not least sind wir mitverantwortlich dafür, dass die Freihandelsverhandlungen mit den USA und Kanada unter Druck gekommen sind und dass es eine realistische Chance gibt den Ausverkauf unserer Demokratie an private Schiedsgerichte zu stoppen.

Volker Gaßner: Welche „Zutaten“ braucht eine Kampagne, damit sie erfolgreich werden kann?

Dr. Günter Metzges: Campact-Kampagnen müssen vor allem überzeugend sein und Menschen bewegen. Menschen werden dann aktiv, wenn sie das Gefühl haben, dass das Anliegen wirklich relevant ist und wenn sie glauben selbst zusammen mit anderen etwas ändern zu können. Wir brauchen immer eine vermittelbare Idee, über welche Pfade öffentlicher Druck wirksam werden kann. So konzentrieren wir uns z. B. bei der Kampagne zu TTIP und CETA darauf, Druck auf die SPD auszuüben und den innerparteilichen Widerstand zu stärken. Wir glauben nicht, dass sich Gabriel am Ende traut, wie bei Hartz IV Politik gegen die eigenen Anhänger und Wähler/Innen zu machen. Bei der Gentechnik-Kampagne haben wir uns vor allem auf die CSU und die bayrischen Landtagswahlen konzentriert, weil wir wußten, dass die Mehrheit der Bürger/Innen und darunter die Mehrheit der für die CSU besonders wichtigen Bauern in Bayern Gentechnik ablehnen.

Volker Gaßner: Viele Medien berichten über den zunehmenden Trend des „Klicktivismus", denn jede Organisation beitet im Jahr viele Petitionen und Unterschriftenlisten an. Siehst du die Gefahr der Abnutzung und wie begegnet man ihm?

Dr. Günter Metzges: Online-Appelle alleine bringen nichts, wenn sie rein virtuell bleiben. Interessant und politisch relevant werden Kampagnen dann, wenn sie Politiker/Innen direkt konfrontieren. Deshalb starten wir Kampagnen im Netz mit einem Online-Appell. Danach nutzen wir aber die Unterschriften, um Druck auszuüben. Wir übergeben die Unterschriften im Rahmen spektakulärer Medienaktionen. Wir konfrontieren Politiker/Innen in Ihren Wahlkreisen, wir organisieren Demonstrationen. Als Bürgerbewegung von mehr als 1,5 Mio. Menschen in Deutschland sind wir quasi überall - wie beim Hasen und dem Igel.

Wenn wir Online-Campaigning mit klassischem Campaigning verbinden, sehe ich die Gefahr der Abnutzung nicht. Denn Menschen werden nicht wegen bestimmter Methoden aktiv, sondern weil sie mit politischen Entscheidungen nicht einverstanden sind. Hier sehe ich auf absehbare Zeit nicht, dass uns die Themen ausgehen.

Volker Gaßner: Bei welcher Kampagnen sollten sich unsere Leser momentan bei euch beteiligen?

Dr. Günter Metzges: Empfehlen möchte ich unsere Kampagnen zu den Freihandelsverhandlungen TTIP und CETA. Denn hier geht es darum, ob wichtige politische Weichenstellungen in Zukunft von Regierungen und Parlementen oder von Konzernen vorgenommen werden. Es geht um die Verteidigung unserer Demokratie.