Interview mit Thomas Brudermann

Thomas Brudermann ist promovierter Psychologe und Professor für Innovations-und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz. Er gilt als Experte für menschliches Entscheidungsverhalten und kennt die inneren und äußeren Widersprüche, die uns klimafreundliches Verhalten erschweren. Er hat ein Buch geschrieben über die »Die Kunst der Ausrede« und nachgeforscht, warum wir uns lieber selber täuschen, als klimafreundlich zu leben.  Ein sehr lesenswertes Buch! Ich habe mich mit dem Autor zu einem Gespräch auf Zoom verabredet, um zu verstehen was uns antreibt, wenn wir im Alltag kleine Ausreden suchen, statt sich mit der Klimakrise zu beschäftigen.

Volker Gaßner:

Herr Brudermann, Sie sind Psychologe und haben sich intensiv mit dem Thema Klima befasst, warum? Warum das Thema Klima?

Thomas Brudermann:

Das im Nachhinein zu rationalisieren, das ist gar nicht so einfach. Während meines Studiums der Psychologie habe ich mich verstärkt mit dem Thema Wirtschaftspsychologie befasst und bin dabei verstärkt mit Umweltthemen in Kontakt gekommen. Und da mir ist aufgefallen, dass die Umweltpsychologie als eigene Subdisziplin eben einen sehr starken Fokus hatte auf Verhaltensweisen, die relativ geringe Auswirkungen auf das Klima haben. Da wurde immer vom „Mülltrennen“ gesprochen, vom „Recycling“, vom „Licht ausschalten“, vom „Deckel beim Kochen“ verwenden – also von all diesen sinnvollen Maßnahmen, die aber eigentlich relativ wenig ausmachen, wenn man jetzt das große Bild von der Klimakrise im Hinterkopf hat. Und die großen Bereiche, die wurden erst viel später entdeckt: also Flugreisen, Auto fahren oder auch Ernährung und pflanzenbasierte Ernährung. Und dabei hat das Thema Klimapsychologie einfach sehr lange gefehlt, das ist eigentlich erst sehr spät in der Wissenschaft angekommen. In den meisten Fällen befasst sich diese Art der Psychologie mit der Tatsache, wie wir mit der Angst und dem Gefühl damit umgehen. Und für mich ist halt die Frage relevant, wie man es eigentlich schafft, die Verhaltensaspekte zu integrieren in diese Nachhaltigkeits-Diskussion. Und das war meine Motivation bei diesem wichtigen Thema.

Volker Gaßner:

Ich kann das sehr gut nachvollziehen, weil auch ich Bücher über Umweltpsychologie gelesen habe und ich tatsächlich bei den meisten Büchern irgendwann aussteige, weil sie gar nicht den Alltag wirklich treffen. Es fehlt die Übersetzung und das finde ich bei ihrem Buch so gut. Das sind alles Dinge, die ich schon gehört habe in unseren Seminaren oder mit den Leuten, mit denen ich gearbeitet habe. Deswegen finde ich Ihr Buch und das Thema extrem wichtig. Mich interessiert zu erfahren, was der Grund war, jetzt so ein Buch zu schreiben.

Thomas Brudermann:

Es war eher spontan und eigentlich fast Zufall. Ich habe beim Forum Alpbach in Tirol einen einschlägigen Vortrag gehalten und wurde dann gefeatured in einem Artikel der Presse. Ich habe diesen Artikel von Michael Loibner mit dem Titel „Schöne Ausreden für Klimasünden“, ein paar Mal angeschaut und mir dann gedacht „eigentlich müssten wir ein Buch darüber schreiben“. Der Arbeitstitel des Buchprojekts war „25 Ausreden für Klimasünden“ und der Verlag hat es dann noch mal zugespitzt auf „Die Kunst der Ausrede“.

Volker Gaßner: 

Als Psychologe können Sie bestimmt erklären, was eigentlich im Gehirn passiert, wenn wir uns durch Lügen selbst betrügen. Wir wissen ja eigentlich genau, dass wir alle etwas tun müssen, um dem Klimawandel zu begegnen. Sie haben 25 Arten von Ausreden aufgeschrieben, wo wir uns ganz aktiv betrügen, denn es ist ja eigentlich kein passiver Vorgang, oder? Also im Hinterkopf wissen wir, wir müssen etwas tun. Und was passiert dann genau? Können Sie uns das erklären?

Thomas Brudermann:

Man kann es schon erklären. Ich bin jetzt kein Neurowissenschaftler, aber eine Eigenschaft des Gehirns ist es, energiesparend zu arbeiten. Das heißt, die ganze Informationsmenge, die da ständig auf einem niederprasselt, wird sehr effizient verarbeitet. Dazu gehört, dass viele Signale gleich ausgefiltert und gar nicht richtig verarbeitet werden. Und dann weiß man aber auch, dass widersprüchlichen Wahrnehmungen – also z.B. klimafreundlich zu denken, aber klimaschädlich zu handeln – ja eigentlich ein ungutes Gefühl auslösen, also diese berühmte kognitive Dissonanz. Und wenn wir jetzt zwischen unserem Verhalten und unserer Wahrnehmung eine Dissonanz wahrnehmen, dann gibt es mehrere Möglichkeiten, diese aufzulösen. Das erste ist die Verhaltensänderung. Wir verhalten uns klimafreundlicher, damit es zu unseren Einstellungen passt. Wir wissen aber, dass Verhaltensänderungen schwierig und auch mit sehr viel kognitivem Aufwand verbunden sind. Vor allem dann, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern. Das zweite wäre, wir können Einstellungen ändern, aber auch Einstellungen und Werthaltungen sind sehr stabil. Die ändern sich nur selten und dann selten um 180 Grad. Sich einzugestehen „Ich bin halt kein Klimafreund“ widerspricht unserem positiven Selbstbild. Das widerspricht unserem Bedürfnis, uns selbst als positiven, als guten Menschen zu sehen und uns gut zu fühlen. Und da kommen als dritte Möglichkeit diese Ausreden ins Spiel, als bequemer Ausweg: Wir sehen den Widerspruch, finden aber eine Rechtfertigung dafür. Das löst den inneren Widerspruch ebenfalls auf.

Volker Gaßner:

Ja, das ist das, was wir in Campaigning-Seminaren immer ansprechen: Es geht oft nicht um Fakten. Fakten bieten die Grundlage für Kampagnen, der Treibstoff sind aber Emotionen. Wir wählen auch emotional. Nehmen wir ein Beispiel: Wir fühlen uns der Politik einer Partei zugehörig. Wir haben einen emotionalen Zugang zu der Partei, dann prüfen wir in der Folge teilweise gar nicht mehr richtig, was sie tun. Würden Sie auch behaupten, dass die Fakten eigentlich eine geringere Rolle spielen, als wir alle dachten?


„Was unser Gehirn besser verarbeiten kann, sind Geschichten.“


Thomas Brudermann:

Ja. Unser Gehirn ist nicht wirklich darauf ausgelegt, Fakten und Daten gut zu verarbeiten. Wir können schon mit Zahlen umgehen, aber wir müssen das auch gezielt lernen. Unser Gehirn geht intuitiv nicht gut mit Zahlen um. Was unser Gehirn besser verarbeiten kann, sind Geschichten.

Eine Geschichte wirkt viel stärker als irgendein Prozentsatz, als etwas Abstraktes wie zwei Grad globale Erwärmung. Das können wir intuitiv nicht fassen. Eine konkrete Geschichte ist: „Ein Kohlearbeiter von heute verliert seinen Job und eine ganze Region verliert ihren Stolz.“ Das kann man sehr genau fassen. Da haben wir einen emotional empathischen Zugang, zu den abstrakten Geschichten oder Fakten aber nicht. Und die Herausforderung in der Kommunikation ist es eben, diese Geschichten zu finden, und die dahinter liegenden Fakten in Geschichten zu erzählen, die uns persönlich bewegen.

„Der erste Schritt zur Veränderung.”

Volker Gaßner:

Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn es gibt ja immer einen Widerstand, sich zu verändern. Für einen Veränderungsdruck brauchen wir daher eine persönliche Betroffenheit. Wir brauchen eine Vision und wir brauchen diesen ersten Schritt. Was würden Sie sagen, wie kann man diese Ausreden bzw. diesen Widerstand zur Veränderung überwinden? 

Thomas Brudermann:

Der erste Schritt ist, sich diesen erst einmal bewusst zu machen. Es hilft nichts, daran kommen wir nicht vorbei. Okay, wir können theoretisch klimafreundlicher und nachhaltiger leben, ohne es zu merken – wenn die Rahmenbedingungen und die Strukturen passen. Aber in Wirklichkeit braucht es meiner Auffassung nach beides. Es braucht Mindset und es braucht Strukturen. Und zum Mindset gehört auch das Beschäftigen mit diesen Ausflüchten, die einem immer wieder an einem selbst, oder auch an anderen Menschen, begegnen. Ich habe das bei mir selbst beobachtet und mich sehr intensiv mit der Thematik von Ausreden beschäftigt – und jetzt habe ich keine mehr.

Volker Gaßner:

Das ist ja wirklich blöd (lächelnd).

Thomas Brudermann:

Es fällt mir richtig schwer, mir solche Dinge schönzureden. Auch meinem Umfeld übrigens. Wenn man aus sozialem Druck oder aus anderen Gründen etwas nicht so klimafreundliches macht, und dafür keine gute Ausrede hat, dann fühlt man sich schlecht. 

„Der Mensch ist nicht perfekt.”

Volker Gaßner:

Das ist der Nachteil: Es gibt kein unbewusstes Handeln mehr. Es ist alles bewusst, wenn die Ausrede wegfällt. Aber es ist der ehrlichere Umgang damit. Das ist ja das, was wir machen müssen: ehrlich damit umgehen.

Thomas Brudermann:

Ich glaube, der ehrliche Umgang beinhaltet auch die Erkenntnis, dass wir eben Menschen sind. Wir sind nicht perfekt. Wir kriegen es nicht optimal hin. Wir werden eben manchmal in Situationen kommen, wo wir dann die optimale Entscheidung treffen – aus welchen Gründen auch immer. Und ich glaube, es hilft relativ wenig, sich dann da ständig in Schuldgefühlen zu baden und irgendwann im Frust zu ertrinken, denn: das hilft ja auch nicht. Wir brauchen da einen gesunden Pragmatismus. Wir müssten schon ehrlich zueinander sein. Aber es bringt halt nichts, wenn wir dann aus diesem Gefühl der Schuld gar nicht mehr rauskommen.

Volker Gaßner:

Jetzt haben Sie diese 25 Ausreden zusammengetragen und in einem Buch veröffentlicht. Nun könnte man diese natürlich auch direkt anwenden oder bei Ausreden von Freunden diese Ausrede entlarven, aber Sie raten davon ab. Was löst dieser Vorwurf bei Menschen aus? Warum sollte ich das nicht tun?

Thomas Brudermann:

Das war natürlich humorvoll gemeint bzw. eine Warnung davor, dass mal als Besserwisser nicht immer auf Gegenliebe stößt. Wir wissen aus der Kommunikationspsychologie, dass diese moralische Keule meistens nicht funktioniert und wenn man Menschen direkt angreift, dann kommt zuerst eine Abwehrreaktion. Und dazu gehört auch, dass die Menschen sich einigeln. Dazu gibt es auch psychologische Studien, wo man Menschen Texte zu verschiedenen Themen gibt, die konträr zu ihrer eigenen Meinung und Weltanschauung sind. Und meistens zementieren sie sich dann ein. Wie kommen wir da trotzdem raus? Das ist die harte Nuss in der Klimakommunikation. Ein Weg ist, einmal zu versuchen, die andere Person zu verstehen, der anderen Person wirklich zuzuhören. Was ist eigentlich die Lebensrealität? Was sind die Sorgen, die diese Person beschäftigen? Und vielleicht sind da ganz andere Themen dabei, und Klimawandel ist in der persönlichen Priorität ganz weit unten. Und dann kommen wir aber mit der Moralkeule. Ich glaube Zuhören bringt kommunikativ mehr als Vorwerfen. Klimafreundlichkeit vorleben bringt ebenfalls etwas, und dann müssen wir auch die richtigen Fragen stellen. Am Ende können wir die Menschen nicht gegen ihren Widerstand von etwas überzeugen. Die Menschen müssen sich selbst überzeugen. Wir können sie dabei aktiv unterstützen.

Volker Gaßner:

Die Jugend, die auf der Straße demonstriert, ist die erste Generation, bei der ich merke und spüre, dass sie Zukunftsängste hat. Einige davon haben sich der Bewegung der Letzten Generation angeschlossen und kleben sich auf die Straße. Dabei habe ich das Gefühl, die Politiker:innen hören überhaupt nicht zu und nehmen ihre Ängste nicht ernst. Im Gegenteil verurteilen sie die Aktivist:innen als „Klima-Terroristen“ oder „Klima-Chaoten“. Wie erleben Sie das denn? Stimmt meine Wahrnehmung?

„Wie Politiker:innen wirklich ticken, ist wissenschaftlich gar nicht so einfach zu beurteilen.”

Thomas Brudermann:

Also ich habe mich mit sogenannten Klimakleber:innen ja auch solidarisch gezeigt und war auch schon solidarisch dabei bei einem Protest hier in Graz. Ich verstehe ihre Sorgen und ich unterstütze auch die Forderungen. Über die Form des Protests kann man natürlich streiten. Beim Thema „Klimaangst“ glaube ich allerdings nicht, dass das wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Es betrifft vor allem Leute, die aktivistisch tätig sind. Es betrifft auch Leute, die wissenschaftlich zum Thema arbeiten und es betrifft Leute, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigen. Und dann ist es aber auch wichtig festzustellen: Klimaangst ist nichts pathologisches, das betonen auch die Psycholog:innen immer wieder. Das ist einfach eine natürliche Reaktion auf eine hereinbrechende Naturkatastrophe. Für die Betroffenen gilt es, den richtigen Umgang damit zu finden. Da gibt es ein paar Strategien –zum Beispiel darüber sprechen, regelmäßig Auszeiten vom Thema zu nehmen und sich gemeinsam zu engagieren. Mir fehlt aber auch, da stimme ich ganz zu, der richtige Umgang vonseiten der Politik mit diesen Protesten. Also wenn zum Beispiel Olaf Scholz sagt, dass der Protest völlig bekloppt sei. Ich bin schockiert darüber, dass er damit anscheinend die Klimakleber:innen gemeint hat - und nicht die Aktionen seines Verkehrsministers. 

Wie Politiker:innen wirklich ticken, ist wissenschaftlich gar nicht so einfach zu beurteilen. Sie nehmen ja nicht an unseren Studien und Befragungen teil. Politiker:innen sind aber auch Menschen, und als Menschen verwenden sie Schutzmechanismen und Verdrängungsstrategien wie andere auch. 


Volker Gaßner:

Es wird viel zum Thema Klima geschrieben. Was müssten denn die NGOs in ihrer Klimakommunikation verändern, um Menschen wirklich zu bewegen? Haben Sie da einen Tipp?

„Es wurde zu viel Aufmerksamkeit auf einfache Maßnahmen gerichtet, die leider auch nur wenig bringen. “

Thomas Brudermann:

Die einzelne allumfassende Lösung dazu gibt es natürlich nicht. 

Ein Thema ist natürlich der Wissensstand: Wir machen Wissenstest mit Menschen aus der allgemeinen Bevölkerung. Die Ergebnisse sind teilweise erschreckend. Studien in Deutschland und Österreich haben gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Menschen die Zusammenhänge und Fakten zum Klimawandel nicht wirklich kennen. So glauben mehr als die Hälfte der Menschen, dass das Ozonloch die Hauptursache für den Treibhauseffekt ist. Es wissen über 80% nicht, dass Wasserdampf ein Treibhausgas ist. Es gibt bei den naturwissenschaftlichen Grundlagen große Lücken, aber auch bezüglich wirksamer Gegenmaßnahmen. Verzicht auf Plastik wird immer wieder als großer Klima-Faktor genannt. Und das hat wohl damit zu tun, dass das Thema Plastik in den Umweltkampagnen der letzten 10 bis 15 Jahren sehr präsent war, ebenso wie  Wassersparen oder „beim Kochen einen Deckel verwenden“. Es wurde zu viel Aufmerksamkeit auf einfache Maßnahmen gerichtet, die leider auch nur wenig bringen. 


Volker Gaßner:

Und hat man sich von Seiten der Umweltverbände vielleicht auch nicht getraut, den Leuten direkt zu sagen, dass sie was verändern müssen?


Thomas Brudermann:

Ich habe 2010/2011 angefangen, mich mit diesen Dingen zu beschäftigen und seit dieser Zeit ist immer die Hoffnung mitgeschwungen, dass man mit kleinen Dingen anfängt.  Die Leute tun etwas umweltfreundliches, das gefällt ihnen gut, sie haben ein gutes Gefühl und wollen dann mehr machen. Und das ist aber nicht passiert. Es gibt zwar ein paar Ökos, die diese Stufen dann durchleben und sich vegan ernähren und nicht mehr fliegen, aber sehr oft bleibt es halt bei diesen kleinen Schritten und dem Gefühl „man tut ja eh genug“. Das berühmte moralische Zensieren kommt dann zum Tragen. Und es geht so weit, dass man eben dann quasi das Nichtstun in den relevanteren Bereichen mit Dingen wie Mülltrennen rechtfertigt. 


Volker Gaßner:

Das heißt, das Verhältnis zwischen Maßnahme und Wirkung stimmt nicht, um wirklich die Umwelt zu retten, sondern man rettet sie eben nur ein bisschen… so viel, wie man eben bereit ist. Glaubt dabei aber, dass man große Schritte geht.


„Warum sollte ich überhaupt etwas tun, wenn die anderen sich nicht einsetzen?“
 

Thomas Brudermann:

Genau. Aber was man aus Studien lesen kann, ist, dass man den Fokus wohl auch stark auf die Akzeptanz von strukturellen Maßnahmen legen muss. Es gibt ja diese Debatte um Schuld-Individualisierung. Es ist auch von Einzelpersonen sehr viel verlangt, die Welt alleine retten zu müssen mit ihren Alltagsentscheidungen. Wir müssen an klimafreundlicheren Strukturen arbeiten, in denen Alltagsentscheidungen automatisch klimafreundlicher sind. Wir müssen gleichzeitig am Mindset arbeiten, denn der Strukturwandel braucht auch die Bereitschaft und die Akzeptanz. Die wahrgenommen Fairness ist dabei ein wichtiger Faktor. Nehmen wir zum Beispiel die Privatjets von reichen Leuten, die durch die Gegend jetten. Hier zeigt sich eine Elite, die sehr sichtbar unverhältnismäßig dem Klima und der Umwelt schadet. Das fühlt sich unfair an und triggert außerdem ein Gefühl der individuellen Hilflosigkeit. „Also ich allein, was soll ich schon machen? Warum sollte ich überhaupt etwas tun, wenn die anderen sich nicht einsetzen?“ 

Klimaschutzmaßnahmen sollten also als fair und sinnvoll wahrgenommen werden. Und es müssen auch diejenigen vorangehen, die sichtbar sind und in der Öffentlichkeit stehen.


Volker Gaßner: 

Das ist richtig. Es wird zurzeit viel geworben für die Photovoltaik-Balkon-Kraftwerke. Also, es gibt viele Möglichkeiten, die effizient sind und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Thomas Brudermann:

Selbstwirksamkeit ist ein wichtiges Thema. Das spüren wir eben beim Klimaschutz nicht automatisch. Bei Gesundheitsthemen geht das leichter. Ich ernähre mich gesünder, ich mache Sport und ich fühle mich besser. Klimaschutz verhallt oft ohne positives Feedback. Ich tu´ was, ich fahr´ nicht mehr Auto, ich fliege nicht mehr - und trotzdem geht der Klimawandel weiter. Und deswegen brauchen wir indirekte Möglichkeiten, diese Wirksamkeit zu erfahren. Und das geht eben, indem man Dinge macht, die sichtbare Veränderungen bringen – sich klimafreundlicher zu ernähren ist z.B. auch meistens gesünder, das spürt man nach einiger Zeit. Oder wenn man Dinge in Gruppen macht, wenn man gemeinsam etwas organisiert, dann hat man das Gefühl von Selbstwirksamkeit viel eher. 

Volker Gaßner:

Und dann, wenn man das Framing betrachtet, also das was bei den Menschen kommunikativ ankommt und interpretiert wird, ist oft mit Verlust oder Verzicht verbunden.

… und nicht mit einer höheren Lebensqualität ohne Auto und Abgasen zum Beispiel.

Thomas Brudermann: 

Der Verzicht wird immer ins Spiel gebracht und das ist problematisch. Die Klimaschutzbefürworter sprechen dann davon, auf was sie alles verzichten, auf was man verzichten muss. Und die Gegner malen den Verzicht als abschreckendes Bild an die Wand. Aber so gut wie niemand will verzichten. Das läuft unserer Verlust-Aversion entgegen. Das interessiert uns nicht. Wir brauchen da ein anderes Framing, also eine andere Art der Kommunikation.

Volker Gaßner:

Also muss im Prinzip genau das Gegenteil bedient werden, nämlich das gewinnbasierte Frames verwenden. Was wird in meinem Leben besser, wenn ich etwas verändere?

Thomas Brudermann:

Genau. Was mir auch besser gefällt, ist dieses Tauschprinzip. Wir tauschen etwas ein. Ich habe mal ein paar Worte dazu geschrieben auf Twitter und auf meiner Website. Da geht es um diesen Mindset-Change. Wir verzichten nicht, sondern wir tauschen etwas ein. Das kennen wir Menschen seit Tausenden von Jahren, davor haben wir weniger Angst als vor dem Verzicht. 

[In eleganteren Worten: https://www.klimapsychologie.com/wp/?p=297 ]

„Wir haben es in der Hand, eine lebenswerte Zukunft zu gestalten”

Volker Gaßner:

Sind sie eigentlich eher ein Optimist oder ein Pessimist in der Klimafrage? Da sie viel schreiben zu diesem Thema, würde ich sie als Optimisten einschätzen – liege ich damit richtig?

Thomas Brudermann:

Ja, ich bin ein Zweckoptimist. Es ist ein pragmatischer Zugang. Der Pessimismus ist nicht konstruktiv. Der bringt uns nicht weiter, bringt uns nicht ins Handeln. Wenn wir jetzt alle pessimistisch dasitzen, passiert gar nichts. Wir brauchen Optimismus. Ohne jetzt zu sagen „wir schaffen das alles locker“. Nein, das nicht. Klimaschutz ist eine komplexe Herausforderung und wir werden auch jede Menge Rückschläge erleiden. Und wir werden natürlich nicht alle Gletscher in den Alpen retten, wir werden massive Veränderungen erfahren – aber wir haben es trotzdem in der Hand, eine lebenswerte Zukunft zu gestalten. Von diesem Zweckoptimismus möchte ich mich noch lange nicht verabschieden.

Volker Gaßner:

Dem kann ich mich gut anschließen. Für der Erstellung von Strategien arbeiten wir immer Kontraste zwischen den einzelnen Standpunkten von Parteien oder Organisationen heraus. Politiker:innen nutzen diese Kontraste, um zu polarisieren und zu streiten. Nach all den Jahren frage ich mich, ob wir nicht viel mehr Standpunkte zusammenbringen müssten. Vielleicht sollten sich die großen Parteien heute überlegen, in welchen großen drei Feldern gemeinsam Politik gemacht wird, anstatt zu polarisieren - zum Wohle der Bürger. Energiewende wäre zum Beispiel ein Thema. Daher würde mich interessieren, was Sie den verantwortlichen Politiker:innen am liebsten mitgeben würden?

„Politik sollte aufhören Klimaschutz als grünes Projekt zu sehen.”

Thomas Brudermann:

Als erstes würde ich mir wünschen, dass die Politik aufhört, Klimaschutz als ein politisch grünes Projekt zu sehen. Es ist eine massive globale Herausforderung, die nicht nur die Grünen, sondern alle betrifft. Und ich glaube, dementsprechend sollten wir dieses Thema auch ernst nehmen. Mein zweiter frommer Wunsch wäre, dass sich jede Partei überlegt „wie kann ich für mich mit diesem Thema im Rahmen meiner Wertbilder konstruktiv umgehen?“ Und der dritte Wunsch wäre, dass sich Politiker:innen auch mit der Wissenschaft austauschen und nicht nur mit Lobbyisten. Ich habe momentan nicht das Gefühl, dass politische Parteien am Austausch mit Wissenschaftler:innen über die Maßen interessiert sind. Im Gegenteil, da wird sogar zur Wissenschaftsskepsis ein Stück weit beigetragen, nur damit es die eigene Position stärkt. Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung. Ich würde mir wünschen, dass wir ein Übereinkommen haben, dass wir so etwas abstellen und wissenschaftsbasiert Entscheidungen treffen. Ich weiß, Politik muss verschiedene Interessen balancieren. Aber auf Fakten und ein gemeinsames Grundverständnis sollten wir uns doch einigen können.

Volker Gaßner:

Ich freue mich darüber, dass Sie diese 25 Klimaausreden aufgeschrieben haben. Das hat mir tatsächlich die letzten zehn Jahre gefehlt. Ich habe bisher noch nicht den richtigen Umgang mit Klimaleugnern gefunden. Ich denke immer „den kriege ich nicht überzeugt“ – also lasse ich ihn ziehen. Er lebt in seiner eigenen Welt. Aber deswegen ist es wichtig, sich das bewusst zu machen, das haben Sie vorhin auch gesagt. Welche Ausreden können kommen und wie antwortet man auf diese?

Thomas Brudermann:

Ja, es ist immer die Frage „was ist das Setting?“ Sich mit hartnäckigen Leugner:innen abzugeben ist verschwendete Zeit und Energie. Man kann sie nicht überzeugen. In Social Media habe ich es mir angewöhnt, einfach nicht zu interagieren mit solchen Menschen, weil es nichts bringt und weil es ja nur deren Reichweite wieder stärkt. Aber es gibt ja nicht nur diese Leugnungs-Schiene, es gibt eben auch legitime Bedenken und da muss man sehr aufpassen, dass man diese Menschen nicht in die gleiche Schublade schiebt. 

Ein Beispiel: Wenn wir eine ambitionierte Maßnahme durchsetzen, dann wird das für einige Menschen unangenehm. Für sie bedeutet das ganz konkret Verlust. Nehmen wir einen LKW-Fahrer, der von einer Forderung nach „mehr Gütertransport auf der Schiene“ direkt betroffen sein wird. Was bedeutet das für seine Lebensrealität? Er verliert ökonomisch, das kann man vielleicht ausgleichen. Aber er verliert ja auch sozial. Er wird quasi vom „Rückgrad der Wirtschaft“ und stolzen Beruf „König der Landstraße“ degradiert zu jemandem, der Almosen beziehen muss. Und da geht sehr viel verloren: soziale Identität, Stolz und auch das Gefühl, etwas Sinnvolles beizutragen. Und das ist eine harte Nuss, weil wir diese Gruppe haben, die da möglicherweise gefühlt und real verliert. Und dann kommt man mit der Leugner-Keule. Aber aus deren Perspektive haben ihre Bedenken eine Legitimität. Und die Frage ist, wie gehen wir damit um? Und die Lösung ist nicht, dass wir ihnen sagen, was sie tun sollen. Die Lösung ist, dass wir mit ihnen darüber reden, was wir tun können, dass sie weiterhin einen sinnvollen Beitrag leisten und eine wichtige Mitglieder der Gesellschaft bleiben.

Volker Gaßner:

Da ist auch stark das Heimatgefühl mit verbunden – Identität und Heimat.

Thomas Brudermann:

Ja, da spielt so viel mit rein. Und das abzucanceln mit „ja, das sind alles nur Idioten“ ist kein respektvoller Umgang. Da haben wir noch nicht wirklich Wege gefunden, wie wir an diese Menschen rankommen. Vielleicht ist das auch eine Aufgabe für eine neue Art der Kampagnenkommunikation – aber das werden wir zwei jetzt nicht so auf die Schnelle entwickeln können.

Volker Gaßner:

Wer weiß (lächelnd).

Thomas Brudermann:

Aber spannend wäre es tatsächlich, zu erarbeiten, wie wir in diese Gruppen kommen und mit ihnen konstruktiv kommunizieren können. Sozio-ökonomisch schwächer gestellte Bevölkerungsgruppen sind viel stärker betroffen von Klimawandelfolgen. Im Hier und Jetzt wiegt es aber stärker und ist es viel konkreter, von Klimaschutzmaßnahmen negativ betroffen zu sein – und das löst momentan auch die stärkeren Ängste und Sorgen aus. Und daran müssen wir arbeiten. 

Volker Gaßner:

Das ist richtig. Heute haben wir uns im Gespräch auf der Suche nach diesem Schlüssel in der Klima-Kommunikation gemacht. Wir bleiben auf dem Weg und an dem Thema dran. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch Herr Brudermann!

Wer mehr über das Buch erfahren möchte, findet meine Empfehlung hier: Die Kunst der Ausrede