Playlisten im Wahlkampf: Wie PolitikerInnen mit Musik ihre Kandidatur inszenieren

Musik im Wahlkampf – Wie Kandidaten und ihre Wahlkampfteams versuchen den Faktor Musik für sich zu nutzen

Executive Summary

  • Musik emotionalisiert sehr stark

  • Effekte durch Priming (Popularität eines Songs strahlt auf politischen Kandidaten ab und wird mit dessen Wahlkampf assoziiert) und Framing (Songinhalte sind Teil der Botschaft der politischen Kampagne)

  • Im US-Wahlkampf stehen bekannte Stars oft mit den Kandidaten auf einer Bühne und fungieren als deren „Usher“ (Beispiel Jay-Z und Barack Obama)

  • Protagonisten der Songs werben für den Kandidaten und rufen gleichzeitig zum Wählen auf

  • Mit konsequenter Nutzung der selben Songs wird ein „Soundbranding“ einer Kampagne erreicht

  • Musikauswahl muss authentisch sein und sowohl zum Kandidaten als auch zur Kampagne passen

  • Besondere Bedeutung kommt der Musik beim Hereinkommen zu: der Kandidat kann Gefühle und Eigenschaften von sich zeigen, die sonst nicht unbedingt sichtbar sind

  • Kandidaten veröffentlichen ihre Playlisten auf Spotify für jeden zum Nachhören

  • Playlisten passen idealerweise zur Kernbotschaft der Kampagne und zum Lebenslauf der Kandidaten (Obama z.B. präferierte Rhythm & Blues)

  • Beim Bundestagswahlkampf 2017 nutzten sowohl Angela Merkel als auch Herausforderer Martin Schulz jeweils eigene Musikstücke bei Auftritten (nur im bayerischen Bierzelt spielte die obligatorische Blaskappelle)

Warum „funktioniert“ Musik im Wahlkampf?

Egal, ob in Werbespots oder bei großen Kundgebungen: Musik wird in nahezu jeder Kampagne eingesetzt. Warum das so ist, erläutern spanische Psychologen in einer Ausführung über Musik im US-Wahlkampf: So verdeutlichen sie, dass „sound [...] the most precise and emotional sense“ (Mas et al., 2017: 586) ist. Politische Kandidaten greifen also auf Musik zurück, um zu emotionalisieren.
Dass Musik im Wahlkampf eingesetzt wird und einen Mehrwert schaffen kann, lässt sich mithilfe des Priming- und Framing-Ansatzes begründen. Wahlkampfverantwortliche können durch Musik einen Prime setzen, der dafür sorgt, dass Wähler dazu geneigt sind, eher an ihren Kandidaten zu denken, wenn sie beispielsweise in der Wahlkabine stehen. Ebenso kann der Mehrwert eines Songs dafür sorgen, dass auf mehreren Ebenen ein Prime gesetzt wird. Gliedert ein Kandidat einen Song in seine Rally-Events ein, der eine große Popularität genießt und für viele Personen positiv konnotiert ist, so kann der Song insofern als Prime fungieren, als dass er beim Hören für viele ein positives Gefühl auslöst. Neben diesem direkten Priming-Effekt kann durch das Integrieren des Songs in die Kampagne ein zweiter Priming-Effekt erzielt werden. Immer, wenn der gewählte Song im Radio läuft, erinnert sich ein Teilnehmer der Wahlkampfveranstaltung daran, dass dieser Song beim Auftritt des Kandidaten abgespielt wurde. Der Teilnehmende der Veranstaltung muss somit an den Kandidaten und das positive Gefühl, welches er bei der Veranstaltung hatte, denken. Mithilfe dieses akustischen Primings kann sich somit eine Art audio-basiertes Wahlkampfplakat im Kopf des Veranstaltungsteilnehmers einbrennen, welches mit dem Kandidaten verbunden ist.
Der Framing-Ansatz schafft eine weitere Perspektive dafür, wie der Einsatz von Musik in Kampagnen genutzt werden kann. Durch die bewusste Auswahl von Musik für ein Rally-Event einer politischen Kampagne versuchen Kandidaten und ihre Teams Einfluss darauf zu nehmen, wie die Veranstaltung von den Besuchern wahrgenommen werden soll. Inhalte, die in Songs thematisiert werden, können so Teil einer politischen Veranstaltung werden. Im Bereich der Sportveranstaltungen erfolgt dieser gezielte Einsatz von Musik bereits seit längerer Zeit.

Die Rolle von Musik im US-Wahlkampf

Im US-Wahlkampf spielt die Unterstützung namhafter Musiker und deren Musik eine wichtige Rolle. So sind Auftritte von Künstlern wie Jay-Z oder Bruce Springsteen keine Seltenheit.

Jay-Z, Barack Obama, Bruce Springsteen bei einem Rally-Event Obamas am 05.11.2012.  Bildquelle: abc.net.au

Jay-Z, Barack Obama, Bruce Springsteen bei einem Rally-Event Obamas am 05.11.2012.
Bildquelle: abc.net.au

Die beiden Obama-Kampagnen (2008 & 2012) hatten jeweils zwei Hauptsongs. Jedes Mal, wenn Obama die Bühne betrat, wurde der Song „City of Blinding Lights“ von U2 gespielt. Nach Abschluss seiner Rede wurde Stevie Wonders „Signed, Sealed, Delivered, I’m Yours“ eingespielt. Vor allem Wonders Song verdeutlich, dass Obama Musik in seiner Kampagne nutzte, um zu emotionalisieren und seine Vision darzustellen. Durch Zeilen wie „you got my future in your hands“ oder „I’m yours“ macht Obama deutlich: „I’m here, I’m yours and I’m ready to serve you, so pick me“ (Schoening/Kasper, 2012: 215).

Auch sein Kontrahent John McCain hatte einen Song, der bei jeder Veranstaltung gespielt wurde „Johnny Be Good“ von Chuck Berry. Durch die wiederkehrende Nutzung der Songs entstand in beiden Kampagnen ein Soundbranding.

Authentizität. Die Musikauswahl muss sowohl zum Kandidaten als auch zur Kampagne passen.
— Sebastian Bermes | @sebermes

Doch Musik wurde in Obamas Kampagne auch auf anderen „Kampagnen-Schauplätzen“ genutzt. So wurde im Obama-Shop beispielsweise eine CD vertrieben, auf welcher 18 Künstler zu hören waren, die den demokratischen Kandidaten unterstützten. Ebenso veröffentlichte Obama 2008 seine persönliche iPod-Playlist. Der Auftritt von namhaften Künstlern im Wahlkampf diente jedoch nicht nur der musikalischen Untermalung der Veranstaltungen. Im Gespräch mit Julius van de Laar wurde deutlich, dass die Intention wesentlich tiefgründiger war. So waren Auftritte von Prominenten in der Obama-Kampagne meist mit konkreten Wahl- und Werbeaufrufen verbunden. Was beispielhaft in einem Auftritt des Rappers Jay-Z anlässlich einer Kundgebung Obamas deutlich wird: „You guys all go out vote! Get your parents, get your friends, get your auntie!“ (Jay-Z in: Obama for America, 2008: Minute 0:53-0:58). Ebenso erhoffte man sich, die Reichweite zu vergrößern und so mögliche Nicht-Wähler anzusprechen. Die gesamte Musikauswahl erfolgte zielgruppenorientiert, was lokale Abweichungen in den Playlists erklärt. Betrachtet man die Playlist einer Rally-Veranstaltung Obamas genauer, wird deutlich, dass die Songauswahl sehr gut mit dem Motto der 2008er Kampagne (Change) korrespondiert (siehe Playlist).

Video: Stars für Obama - perfekter Auftritt dank Jay-Z und U2

Playlist einer Wahlkampfveranstaltung Obamas im Janaur 2008 (eigene erweiterte Darstellung nach: Gorzelany-Mostak, 2015: 17)

Playlist einer Wahlkampfveranstaltung Obamas im Janaur 2008 (eigene erweiterte Darstellung nach: Gorzelany-Mostak, 2015: 17)

Allgemein betrachtet wirkt die Playlist wie eine Liste von Liedern, die Barack Obama von Kindesbeinen bis zu seiner Kandidatur zur US-Präsidentschaft begleitet hat. Das Genre Soul / R&B dominierte die Soundlandschaft der Obama-Kampagne, was auf Grund Obamas afroamerikanischen Wurzeln sehr authentisch wirkt, denn dieses Genre wurde ebenfalls vorrangig von afroamerikanischen Künstlern geprägt. Obama und sein Team haben durch die Unterstützung von musikalischen Top-Stars und den damit verbundenen Live-Auftritten einen authentischen Soundtrack kreiert, der zur Kampagne und dem Kandidaten passt und mit Sicherheit die Zielgruppe erreichte.

Spotify Kampagnen-Playlisten von Obama, Biden & Harris

The official 2012 playlist features picks by the campaign staff - including a few of President Obama's favorites.

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Wie Musik im deutschen Bundestagswahlkampf eingesetzt wird

Auch die beiden Spitzenkandidaten der Bundestagswahl 2017, Angela Merkel und Martin Schulz, setzten Musik in ihren Kampagnen gezielt ein. Vor allem hinsichtlich der Einlaufsongs lassen sich Parallelen zum US-Wahlkampf erkennen. Sowohl Merkel als auch Schulz griffen während der Kampagnen zur Bundestagswahl 2017 bei einem Großteil ihrer Wahlkampfevents auf einen wiederkehrenden Einlaufsong zurück. Merkels Song, welcher instrumental gehalten ist, kann keinem Interpreten zugeordnet werden, weshalb unklar ist, ob es sich um ein lizenzfreies Werk handelt oder ob der Song für den CDU-Wahlkampf komponiert wurde.

Merkels Kontrahent Martin Schulz griff auf den Song eines prominenten Unterstützers zurück. So lief Schulz bei fast jedem seiner Wahlkampfauftritte zum Song „Wie sehr wir leuchten“ der deutschen Band Gloria – um ihren prominenten Leadsänger Klaas Heufer-Umlauf – ein. Auf der Bühne angekommen, grüßte Schulz die Menge zu instrumentalen Klängen des 2008 erschienen Welthits „Viva la Vida“ der britischen Band Coldplay. Dieses Lied wurde ebenfalls abgespielt, wenn der Spitzenkandidat der SPD die Bühne verließ.

Sowohl bei Merkel als auch Schulz gab es zum Teil Abweichungen bei ihren Einlaufsongs. Beispielsweise traten beide bei Wahlkampfauftritten in Bayern zu den Klängen von live gespielter Blasmusik auf die Bühne.

Video: Blasmusik begleitet Angela Merkel beim Auftritt in Augsburg 2017

Ausschnitt einer Musikfolge der Kundgebung von Martin Schulz am 21.09.2017 in Köln

Ausschnitt einer Musikfolge der Kundgebung von Martin Schulz am 21.09.2017 in Köln

Entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass die Wahlkampfverantwortlichen die Musik der Veranstaltungen gezielt auf den Standort abstimmten. Bei den Kundgebungen der SPD gab es fast immer Livemusik. Auch bei der Auswahl der Livemusik kam es zu standortbasierten Besonderheiten: Bei Auftritten in Köln und Trier wurde beispielsweise auf lokale Musiker gesetzt. Neben diesen lokalen Künstlern setzte die SPD mit Sebastian Hämer auf einen überregional bekannten Popmusiker, der bei einigen ausgewählten Kundgebungen (vor allem gegen Ende des Wahlkampfs) auftrat. Im Soundtrack der Schulz-Kampagne dominierte das Genre Pop. Im Durchschnitt stammen die Songs aus dem Jahr 2003, was im Vergleich zu Obamas Kampagne (durchschnittliches Erscheinungsjahr 1979) sehr jung ist. Zu Musikfolgen der Merkel-Kampagne lässt sich aufgrund fehlender Daten leider nichts sagen.

Im Gespräch mit Insidern der deutschen Kampagnen wurde deutlich, dass die Musik- und Künstlerauswahl nicht ausschließlich zielgruppenorientiert erfolgte. Nach Aussage von Insidern der deutschen Kampagnen, sollten in erster Linie die eigenen Wahlkämpfer mit der eingesetzten Musik motiviert werden, da diese die Kampagne „auf die Straße“ bringen. Dies veranschaulicht die Differenzen des Musikeinsatzes bei der Bundestagswahl 2017 im Vergleich zum zielgruppenorientierten Musikeinsatz der US-Kandidaten in den Wahljahren 2008 und 2012.

Worauf können Kandidaten und Parteien bei der Auswahl der Musik achten?

Oberste Priorität hat vor allem eins: Authentizität. Die Musikauswahl muss sowohl zum Kandidaten als auch zur Kampagne passen. Deshalb müssen die Verantwortlichen sich darüber im Klaren sein, welche Botschaft die Kampagne im Generellen überliefern soll und welche Art von Song diese Kernbotschaft unterstützen kann. Ein reines Best-of der Songs, die in jüngster Vergangenheit angesagt waren, hilft den Kandidaten nicht weiter. Vielmehr sollte in der Musik ein Bezug zum Kandidaten deutlich werden. Obama lässt sich mit der Musikauswahl für seine Kampagnen, welche als Zeitreise durch das Leben des Kandidaten interpretiert werden kann, als Paradebeispiel für eine kandidatenbezogene Musikauswahl benennen, die dennoch die Zielgruppenorientierung nicht aus den Augen verliert. Ebenso kann es hilfreicher sein, auf die Unterstützung lokaler Künstler zu setzen, als vermeintliche Big-Player, in Form von überregional tätigen Musikern, für sich zu gewinnen. Die Königsdisziplin der Musiknutzung im Wahlkampf, der Einlaufsong, sollte bewusst für sich eingesetzt werden. Durch diesen haben die Kandidaten die Möglichkeit, sich in etwa drei Minuten von einer anderen Seite zu präsentieren, die Masse zu packen und zu begeistern. Das gelingt, indem der Einlaufsong zur gesamten Kampagne passt und neben einem treibenden, mitreißenden Beat auch eine positive Botschaft übermittelt. Reine Instrumental-Songs sind eher ungeeignet, da diese die Botschaft der Kampagne ausschließlich nonverbal unterstützen können.

Sebastian Bermes @sebermes

Sebastian Bermes @sebermes

Über den Autor: Sebastian Bermes

Sebastian Bermes, wohnhaft in Mainz, absolvierte 2020 sein Masterstudium der Fächer Sozialkunde, Deutsch und Bildungswissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. In seiner Masterarbeit forschte er zum Thema: Musik als Einflussfaktor für die Wahlentscheidung? Wie Kandidaten und ihre Wahlkampfteams versuchen, den Faktor Musik für sich zu nutzen. Seit 2019 studiert er ebenfalls Schulmusik in der Erweiterungsprüfung an der Hochschule für Musik in Mainz.

Twitter: @sebermes

Email: sebastian.bermes@yahoo.de

Campaigning Seminar Campaigning Academy Berlin

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Literatur:

  • Gorzelany-Mostak,    Dana (2015): I’ve got a little list. Spotifying Mitt Romney and Barack Obama in the 2012 U.S. Presidential Election, in: Music and Politics 2015(2), S. 1-43.

  • Mas, Lluís / Collel, Maria-Rosa / Xifra, Jordi (2017): The Sound of Music or the History of Trump and Clinton Family Singers. Music Branding as Communication Strategy in 2016 Presidential Campaign, in: American Behavioral Scientist, 61(6), 584-599.

  • Obama for America (02.11.2008): Jay-Z for Barack. „Obama’s Running So We All Can Fly“, online abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=U496VPVT9y8&ab_channel=BarackObamadotcom [zuletzt aufgerufen am 29.12.2020].

  • Schoening, Benjamin S. / Kasper, Eric T. (2012): Don’t Stop Thinking About The Music. The Politics Of Songs and Musicians In Presidential Campaigns, Lanham: Lexington Books.