4 Learnings aus der Beto O'Rourke Kampagne

© Tyler Harrington

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4 Learnings aus der Beto O'Rourke Kampagne

Vom texanischen Underdog lernen

Von Sabine Juliana Stockheim

Beto O'Rourke & Juliana Stockheim

Beto O'Rourke & Juliana Stockheim

Beto O'Rourke ist bei den Zwischenwahlen in den USA angetreten, um Senator von Texas zu werden. Er hat diese Wahl verloren, aber seine Unterstützer sehen ihn für Größeres berufen: auf den Vorgarten-Schildern wurde aus „Beto For Senate“ kurzerhand „Beto For President“. Hinter Bernie Sanders und Joe Biden wird der Underdog nun auf Platz drei der möglichen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gehandelt. Auftrieb geben nicht nur Vergleiche zwischen ihm und Abraham Lincoln, der 16. US-Präsident, der ebenfalls zuvor eine Senatorenwahl verloren hatte. Ich habe drei Wochen lang Canvassing für Beto O'Rourke gemacht und das habe ich gelernt.

Ein Blick zurück. Kurz bevor die frühe Wahlphase, die Möglichkeit bereits vor dem Wahltag seine Stimme abzugeben, in Texas Ende Oktober beginnt, tritt Beto O'Rourke in einem Hotel in Sugar Land auf, einem konservativen Vorort von Houston. Der Saal ist voll. Rund 1800 Menschen sind gekommen, um ihn live zu erleben und ihnen wird einiges geboten. Der Mann mit der kennedysken Ausstrahlung wird mit tobendem Applaus begrüßt. Aus vollem Herzen, mitreißend und voller Energie spricht er über die Kinder, die ihren Eltern von der Trump-Regierung an der Grenze zu Mexiko entrissen wurden. Er spricht über Afroamerikaner, die im amerikanischen Justizsystem deutlich häufiger zu Haftstrafen verurteilt werden als Weiße. Er spricht über die schlechten Lebensbedingungen von Veteranen, das Recht der Frauen selbst über ihren Körper zu bestimmen, über die Legalisierung von Cannabis, Waffenkontrollen und dass es egal ist, wen man liebt.

Emotionale Themen, die wahrscheinlich jeden in diesem in Gold gehaltenen Spiegelsaal einmal ansprechen. O'Rourke hat Ausstrahlung. Im durchgeschwitzten Hemd steckt er seine Zuhörer mit der Vision an, dass ein Wandel in Texas möglich ist. Anders als sein republikanischer Gegenspieler Ted Cruz steht er für ein weltoffenes, diskriminierungsfreies Texas. „Die Menschen von Texas wollen nicht von ihren Ängsten bestimmt werden, davon wen sie fürchten oder nicht mögen sollen. Sie wollen von ihren Ambitionen, ihren Bestrebungen, ihren Ziele bestimmt werden“, ruft er in den bebenden Saal.

Lesson Learned 1

Die erste Lektion aus der Beto-Kampagne lautet daher: Ein charismatischer, authentischer Kandidat mit emotionalen Themen und einem klaren Gegennarrativ kann Massen begeistern. Idealismus ist der Pfeffer einer erfolgreichen Kampagne.

Die Beto-Kampagne war nach eigenen Angaben die größte Graswurzel-Kampagne, die Texas je gesehen hat. Ihr Fokus: Wähler mobilisieren – Get Out The Vote! Sie lebte von Tausenden freiwilligen Wahlhelfern, die von Tür zu Tür zogen und bedeutungsvolle Gespräche mit ihren Mitbürgern führten. Denn wissenschaftlichen Studien wie Gerber und Green (2015)* zufolge ist das persönliche Gespräch das effektivste Instrument, um Menschen zu überzeugen. An den Türschwellen erfährt man was die Menschen umtreibt. Eine Iranerin dankt mir für unsere Arbeit und küsst mich dafür auf die Backe, dass wir für Toleranz und gegen die aggressive Politik von Trump und Cruz mobilisieren. Im Türrahmen helfe ich einem Erstwähler und starkem Beto-Unterstützer in Unterhosen herauszufinden, ob er registriert ist. Ein philippinisches Paar redet nicht über Politik miteinander. Er, ein Zyniker, möchte nicht, dass sie wählen geht. Sie möchte es trotzdem tun. Für Beto. Ein afroamerikanischer junger Mann mit seiner Mutter im Rücken überlegt noch, ob er wählen gehen soll. Als er hört, dass ich extra aus Deutschland gekommen bin, um mit ihm zu sprechen, wird er hellhörig. Die Neugierde eines junges Mädchens ist durch unser Gespräch geweckt. Sie möchte wissen wer dieser Beto ist, für den Menschen als Freiwillige um die Häuser ziehen. Organisiert in über 700 sogenannten Pop-up offices, die in privaten Wohnzimmern oder Garagen im ganzen Land eröffnet wurden, sind Tausende von Jungen und Älteren, Weißen und People of colour, Hetero- und Homosexuellen wie ich zum Haustürwahlkampf ausgeschwärmt.

Auch Jeff Hoffmann und Margo Pasko sind zwei von ihnen. Das Juristen-Paar ist gerade frisch in Rente gegangen. Anstatt sich zur Ruhe zu setzen, haben sie neun Stunden täglich, sieben Tage die Woche Freiwillige bei sich zuhause empfangen und sie in die Modularitäten der Kampagne eingeführt. Jeff hat sich abgesehen von kleinen Geldspenden vorher nie aktiv politisch beteiligt. „Das, was mich hier her gebracht hat, ist Betos Optimismus, seine positive Einstellung und seine Bereitschaft, auch die Positionen von politischen Gegnern wertzuschätzen.“ „Beto ist wie Wasser in der politischen Wüste des Hasses. Ich hoffe, dass er nicht aufhört seine Botschaft des Anstands und des Mitgefühls zu verbreiten“, findet seine Frau Margo Pasko. Trotz der Niederlage erklärt Krista Grant, eine 26-jährige Gebietsleiterin der Kampagne: „Beto hat uns gezeigt, dass mit Vorstellungskraft und harter Arbeit ein Wandel möglich ist.“ Zu ihren Aufgaben gehörte unter anderem die Rekrutierung von Freiwilligen. Das Programm „Come Back to Texas“ rekrutierte auch jene Unterstützer, die aus Texas stammen, aber mittlerweile in einem anderen Bundestaat wohnen. Und sie sind gekommen - aus Washington, New York, Boston oder Kalifornien. Kathy Stumm aus Denver ist zwei Tage mit dem Auto nach Houston gefahren, um dort ein Pop-up zu leiten. Aktuelle Informationen haben die Mitarbeiter wie sie auf dem interaktiven Dashboard Slack erhalten. Kathy sagt, zu sehen wie viele hingebungsvolle Menschen es gibt, die der Hoffnung auf eine bessere Zukunft viel Zeit und Energie opferten, „hat mein Leben verändert.“ Erstaunlich ist auch, dass Beto O'Rourke ein Rekord-Budget von mehr als 70 Millionen lediglich durch Kleinspenden angefangen mit 3 Dollar ansammeln konnte. Geringe Beträge können was. Nämlich einladen.

Lesson Learned 2

Ein Netzwerk aus enthusiastischen Freiwilligen und eine Armee aus privaten Spendern sind Gold und bares Geld wert. Rekrutierungsprogramme sollten breit ausgelegt werden und sind eine wichtige Investition in die Zukunft.

Beto Austin HQ, © S. Juliana Stockheim

Beto Austin HQ, © S. Juliana Stockheim

Mit Menschen in Kontakt treten und sich ihre Geschichten anhören, gehört zu „Beto“ wie der Facebook-Livestream aus seinem Auto heraus. Jede Minute wurde genutzt, um ansprechbar zu sein – und zu zeigen was für ein Mensch der Kandidat privat ist. Ein wichtiger Faktor für viele Amerikaner.

Bei einem Zwischenstopp auf einem Parkplatz dreht Beto O'Rourke eine Runde mit dem Skateboard. Das Video geht viral. In der Schlange des Drive-Ins einer Burger-Kette spielt er spontan Luft-Schlagzeug zu „The Who“. Sein politischer Gegner Ted Cruz macht einen Werbespot, der die Aktion lächerlich machen soll. Die Kampagne arbeitet mit wenigen, selbsterklärenden Hashtags wie #BetoForSenate und #BetoForTexas, die von seinen Unterstützern genutzt werden, um Aktionen wie diese in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Auf Wahlkampfveranstaltungen wird man darauf hingewiesen, dass man den Hashtag #votewithBeto verwenden kann, wenn man Bilder posten möchte. Der User-Generated Content macht den Politiker nahbar und sollte strategisch mitgedacht werden. Das Ziel: präsent sein, Sympathien binden.

Lesson Learned 3

Videos und Fotos aus dem Moment heraus erzählen die besten Geschichten. Inhalte mit hohem Unterhaltungsfaktor verankern den Kandidaten im kollektiven Gedächtnis.

O'Rourkes wertschätzender Stil und der respektvolle Umgang miteinander, den er immer wieder propagiert, brachte auch viele Republikaner dazu, den Demokraten zu unterstützen. So wie Jackie Vielma. Die Lateinamerikanerin arbeitete lange in der einflussreichen Öl- und Gas-Industrie und wählte ausschließlich für die Republikaner. Wenn sie an ihre Nichten und deren Kinder denkt, sagt sie, könne sie deren frauen- und fremdenfeindliche Sprüche nicht weiter ignorieren.

Beto O’Rourke Skateboard

Facebook Werbeausgaben im Texas Senats-Wahlkampf

Quelle: The Atlantic

Der Chauvinismus, der mit US-Präsident Donald Trump wieder salonfähig werden soll, stößt nicht nur bei ihr auf erstarkenden Widerstand. O'Rourke machte öffentlich, dass er ein Amtenthebungsverfahren gegen Trump ins Leben rufen werde, wenn er Senator von Texas sei. Nichtsdestotrotz hat Beto O'Rourke die Wahl, wenn auch denkbar knapp um 220.000 Stimmen, verloren. Seine progressiven Positionen haben die großen Städte überzeugt. Austin hat den Demokraten mit rund 74 Prozent gewählt. O'Rourke konnte Houston gewinnen, die am ethnisch stärksten durchmischte Stadt der Vereinigten Staaten (und die Heimatstadt von Ted Cruz). Dazu kommt, dass aufgrund des konstanten Bevölkerungswachstums in Texas, die hispanische Community im Jahr 2020 den größten Anteil an der texanischen Population ausmachen wird. In den ländlichen Regionen waren seine Zustimmungswerte allerdings verschwindend gering. In Roberts County beispielsweise wählten nur 4,1 Prozent für ihn. Trotz der Tatsache, dass O'Rourke alle 254 Bezirke von Texas besucht hatte – ein Novum im „Redneck state“ – konnte er der ländlichen Bevölkerung nicht näherkommen. Für die Texaner außerhalb der liberalen Hochburgen war er zu offen gegenüber Migranten und anderen Minderheiten, zu „weich“ in Sachen Kriminalität, zu wenig gläubig, zu ablehnend gegenüber Trump. Sie fürchteten Texas werde zu einem zweiten Kalifornien, das für seinen Liberalismus bekannt ist.

Lesson Learned 4

Die Präsidentschaft von Donald Trump ist ein Momentum, eine echte „crisitunity“.

Die Bevölkerungsentwicklung ebnet demokratischen Kräften den Weg. Doch die ländliche Bevölkerung tickt anders. In dem stark polarisierten Umfeld von Texas und angesichts des knappen Wahlausgangs hätten zentristischere Positionen und Angebote an die ländlichen Regionen eine stärkere Integrationskraft entfalten können.

Haustürwahlkampf-App von Beto for Texas
© S. Juliana Stockheim

© S. Juliana Stockheim

Abgesehen von der inhaltlichen Ausrichtung der einzelnen Kampagnen, ist wählen gehen in Texas unnötig kompliziert und mit großen Hürden verbunden. Der Registrierungsprozess sowie verwirrende und stark variierende Regeln für das frühe Wählen sind ein Teil davon. Anders als derzeit in Texas der Fall, „sollte es möglich sein sich bis zum Wahltag registrieren lassen zu können, die Registrierung an sich sollte einfacher und selbsterklärend gemacht werden. Die Frühwählphase sollte länger dauern als zehn Tage und man sollte in allen Wahllokalen in seinem Bezirk wählen gehen dürfen“, fordert Gebietsleiterin Grant. Dennoch ist die Wahlbeteiligung der unter 30-Jährigen um mehr als 500 Prozent gestiegen, die von Nicht-Weißen um mehr als 200 Prozent. Mit den insgesamt rund 42 Prozent Wahlbeteiligung konnte im Vergleich zu den Zwischenwahlen vor vier Jahren ein Plus von 17 Prozent erreicht werden. Ein Gewinn für die Demokratie, der auch auf das Konto der Mobilisierungskampagne von Beto O'Rourke geht.

*Quelle: Green, Donald / Gerber, Alan S. (2015): Get Out the Vote: How to Increase Voter Turnout. 3. Auflage. Brookings Institution Press. (Die 4. Auflage wird Mitte 2019 veröffentlicht) - hier zum Buch

 

Über die Autorin: Sabine Juliana Stockheim

Sabine Juliana Stockheim

S. Juliana Stockheim hat Politik- und Sozialwissenschaften studiert (M.A.). Ihre Masterarbeit schrieb sie über Strategien zur Steigerung der Wahlbeteiligung junger Erwachsener. Grundlage waren u.a. die Get Out The Vote Erkenntnise von Green/Gerber, die auch in der Beto-Kampagne zur Anwendung kamen. (Junge) Menschen zur politischen Beteiligung zu motivieren, lässt sie bis heute nicht los. Dafür nimmt schon mal Urlaub und fliegt drei Wochen nach Texas, um vom amerikanischen Campaigning etwas nach Hause zu bringen.

Auf Twitter ist Juliana unter @sjstockheim zu finden. Auf Xing erreicht Ihr sie hier.

 
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